Autorius: RT deutsch Šaltinis: https://deutsch.rt.com/europa/... 2020-02-04 11:46:53, skaitė 969, komentavo 0
Der Historiker Matthias Uhl erwartet bei der von Kremlchef Wladimir Putin angekündigten Freigabe von Archivdokumenten zum Zweiten Weltkrieg keine großen Enthüllungen mehr. "Ich erwarte nichts Sensationelles", sagte Uhl der Deutschen Presse-Agentur.
Die Geschichte zum Zweiten Weltkrieg sei weitgehend erforscht, meinte der Experte am Deutschen Historischen Institut in Moskau. Putin hatte angekündigt, jenen, die das Andenken an den Sieg der Sowjetunion über Hitler vor 75 Jahren in den Schmutz ziehen sollten, das "Schandmaul" zu stopfen – mit Hilfe von Dokumenten aus den Archiven.
Vor allem stört sich Russland an Äußerungen aus Polen und an einer Resolution des Europaparlaments, die der Sowjetunion eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geben. Hintergrund ist der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt aus dem Jahr 1939. Mit dem so bezeichneten Hitler-Stalin-Pakt hatten die beiden Diktatoren vor Beginn des Kriegs Polen und andere Staaten in Ost-Mitteleuropa in Einflusssphären aufgeteilt. Daraufhin griff Hitler-Deutschland am 1. September 1939 Polen an, die Sowjetunion marschierte am 17. September in Ostpolen ein und stieß ungefähr bis zur sogenannten Kurzon-Line vor. Experte Uhl kommentierte die Situation so:
Es ist ganz klar, dass Deutschland die Hauptschuld trägt. Auf dem deutschen Konto stehen fünf Millionen polnische Opfer, auf dem der Sowjetunion etwa 100.000.
"Dieser Pakt hat den Weg in den Weltkrieg beschleunigt", so Uhl im dpa-Interview im August 2019. "Es ist aber nicht so, dass Stalin damit die Schuld für den Krieg trägt. Denn auch ohne diesen Pakt hätte Hitler Polen angegriffen." Die Ursachen für den Kriegsausbruch lägen tiefer.
Zugleich meinte er, dass der wieder aufgeflammte Streit zwischen Warschau und Moskau zum Thema Zweiter Weltkrieg zu nichts führe. "Er wird jeweils politisch für nationale Interessen genutzt – auch in Russland, wo die Erinnerung an den Großen Sieg bis heute die große Klammer ist, die die Gesellschaft und die Generationen zusammenhalten soll."
Bei der Schulddebatte sei im Grunde auch die Rolle Frankreichs und Großbritanniens zu hinterfragen, sagte Uhl. Polen habe sich auf die beiden Verbündeten damals nicht verlassen können.
Russland erinnert in dieser Woche an den 75. Jahrestag der Konferenz von Jalta, bei der die Alliierten im Kampf gegen Hitler die Weltordnung für das Kriegsende im Mai festlegten.
Russland habe es sich teils selbst zuzuschreiben, dass es sich in seiner Rolle als Siegermacht angegriffen fühlt, sagte der Historiker. "Russland tut international zu wenig für das eigene Geschichtsbild." Russische Historiker hätten vor allem das eigene Land im Blick, sagte Uhl. Sie hätten es aber versäumt, mit Veröffentlichungen etwa auf Englisch zur Quellenvielfalt und breiteren Geschichtswahrnehmung beizutragen.
Der Nichtangriffspakt in Russland: Erst verurteilt, dann gerechtfertigt
Nach Auffassung des russischen Historikers Alexander Latyschew bestand die Hauptabsicht Stalins darin, mit dem Pakt einen Angriff Hitler-Deutschlands so lange wie möglich hinauszuzögern. Er habe gewusst, dass es irgendwann dazu kommen werde. Stalin habe sich damit wertvolle Zeit verschaffen wollen, um sich besser verteidigen zu können, meinte er und ergänzte:
Die Deutschen haben den Pakt gebrochen und die Sowjetunion verräterisch angegriffen.
In Moskau wird nach Meinung von Historiker Uhl der Vertrag mittlerweile umgedeutet. "In Russland wird dieser Pakt wieder als genialer Schachzug bewertet." Ähnlich sei es schon zu Sowjetzeiten gewesen. "Durch die Hintertür wird so versucht, das unmoralische Geheimprotokoll zur Aufteilung Polens zu relativieren."
Im Jahr 1989 hatte das Parlament unter dem Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, den Vertrag noch verurteilt. Dieser habe nicht den Willen des sowjetischen Volkes widergespiegelt. Im Jahr 2009 hatte Putin in seiner Funktion als Regierungschef noch von einem "unmoralischen Pakt" gesprochen. Sechs Jahre später stellte er ihn dagegen als eine friedenssichernde Maßnahme dar.
Putin wolle mit seiner Auslegung wohl verhindern, dass Nazi-Deutschland und die Sowjetunion als "ähnliches Übel" wahrgenommen werden könnten, sagte Geschichtsprofessor Iwan Kurilla von der Europäischen Universität in Sankt Petersburg.
/(rt deutsch/dpa)
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