Internet setzt dem Mainstream zu: CDU will Gegenöffentlichkeit torpedieren

Autorius: RT deutsch Šaltinis: https://deutsch.rt.com/gesells... 2016-10-30 13:14:52, skaitė 950, komentavo 0

Internet setzt dem Mainstream zu: CDU will Gegenöffentlichkeit torpedieren

Internet setzt dem Mainstream zu: CDU will Gegenöffentlichkeit torpedieren

Die Internet-Medien erlauben ihren Nutzern immer mehr selbstbestimmten Medienkonsum. Nicht immer zur Freude traditioneller Politiker und ihrer Medien. Die Bundesregierung will nun "Filterblasen" bekämpfen und schaut auf die Algorithmen der Anbieter.

Seit dem Jahr 2013 haben die 15 größten Medienkonzerne Deutschlands insgesamt drei Prozent an Marktanteil verloren. Dies geht aus dem jüngst veröffentlichten Medienvielfaltsmonitor der Landesmedienanstalten hervor.

Zwar ist der Anteil der Konzernmedien, zu denen aufgrund inhaltlicher Nähe auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten gezählt werden können, mit insgesamt 76,2 Prozent insgesamt immer noch hoch. Einige Anbieter haben allerdings deutlich Federn lassen müssen, darunter im Bereich des Fernsehens die ARD, die im Laufe der letzten drei Jahre 0,8 Prozentpunkte an Marktanteil verlor, und im Printbereich der Axel-Springer-Verlag.

Den jüngsten Daten der "Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V." (IVW) zufolge musste die BILD im dritten Quartal des Jahres 2016 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres einen Rückgang der verkauften Auflage von 10,9 Prozent hinnehmen, im Einzelverkauf sogar um 12,2 Prozent. Mit einer verkauften Auflage von 1.962.726 Exemplaren rutschte das Blatt unter die Marke von zwei Millionen Exemplaren.

"Die Welt" musste im Einzelverkauf ein Minus von 5,3 Prozent hinnehmen, bei den Abonnements waren es sogar minus elf Prozent. Auch Mainstreammedien wie Stern, Der Spiegel, Berliner Zeitung oder Bild am Sonntag verloren deutlich. Stabil bleiben oder zulegen konnten vor allem Fachblätter wie das Handelsblatt (+ 1,7 Prozent) oder politische Milieuzeitungen. So konnte die linksliberale taz mit einem Minus von 1,8 Prozent ihre Verluste in Grenzen halten, der ebenfalls linksgerichtete Freitag gewann um 3,7 Prozent dazu, die rechtskonservative Junge Freiheit sogar um 18 Prozent.

Die Tendenz scheint also dahin zu gehen, dass Leser, die speziell Wert darauf legen, zusätzlich zur sachlichen Information auch eine bestimmte Haltung vermittelt zu bekommen, gezielt Formate nachfragen, die so etwas auch von vornherein erwarten lassen. Überfrachten jedoch Medien, die sich selbst gerne als "unabhängig" darstellen, ihre Produkte mit aggressivem Meinungsjournalismus, wenden sich die Leser in Scharen ab. Nicht alle Formate vermögen die Verluste im Printbereich online wettzumachen.

Vor allem das Internet gewinnt auf Kosten der traditionellen Printprodukte, aber auch im Vergleich zum Fernsehen rapide an Bedeutung. Das Fernsehen, das insgesamt das wichtigste Medium zur Meinungsbildung bleibt, verfügt insgesamt über einen Anteil von 35,7 Prozent unter allen Medien. Im Jahr 2011 waren es noch 40,3 Prozent gewesen. Bereits 22,3 Prozent der Medienkonsumenten informieren sich jedoch über das Internet, das damit die Tageszeitungen überholt, die nur noch auf 20,7 Prozent kommen.

Unter jungen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren ist das Internet bereits mit Abstand das meistgenutzte Informationsmedium. Ganze 46 Prozent informieren sich in dieser Altersgruppe bereits online über das Weltgeschehen. Das Fernsehen (24,8 Prozent), der Hörfunk (17,6 Prozent) und die Tageszeitungen (9,8 Prozent) sind dort bereits weit abgeschlagen.

Mit United Internet und Ströer befinden sich erst zwei bedeutende Medienunternehmen unter den 15 größten, die ausschließlich online agieren. Dies zeigt, wie vielfältig und wenig monopolisiert der Online-Markt und wie groß dort die Konkurrenz für die alteingesessenen Anbieter ist. Allerdings haben längst die internationalen Internetgrößen eine nicht mehr wegzudenkende Bedeutung auf dem deutschen Medienmarkt erlangt. So kommt Google in seinem Segment auf einen Anteil von 90 Prozent, Facebook auf 35,1 Prozent unter den sozialen Medien. Bei den Video-Plattformen verfügt Google-Tochter YouTube über einen Marktanteil von 80,9 Prozent.

Vor dem Hintergrund des zunehmenden Vertrauensverlustes für die traditionellen Medien und der steigenden Bedeutung von Onlineplattformen und sozialen Medien scheinen Bemühungen der Politik, das Betreiben von Onlineangeboten gesetzlich stärker zu regeln, nicht völlig uneigennütziger Natur zu sein.
So meldete sich Bundeskanzlerin Angela Merkel jüngst auf den Medientagen in München zu Wort und äußerte dort Spiegel online zufolge:

Ich persönlich bin auch der Meinung, dass Algorithmen transparenter sein müssen, sodass interessierten Bürgern auch bewusst ist, was eigentlich mit ihrem Medienverhalten und dem anderer passiert.

Die Algorithmen haben Einfluss darauf, welche Suchergebnisse einem Nutzer bei Google angezeigt werden und welche Beiträge bei Facebook im Newsfeed auftauchen. Nun hat jeder Nutzer bereits jetzt selbst die Möglichkeit, zu beeinflussen, was er beispielsweise auf Facebook angezeigt bekommt. Was in traditionellen Medien die Nachrichtenagenturen, die Chefredaktion, die Person am Schneidetisch oder der Endredakteur wahrnehmen, nämlich das Herausfiltern der vermeintlich oder tatsächlich relevanten Inhalte, kann online Otto Normalverbraucher selbst vornehmen.

So bietet beispielsweise Facebook nicht nur die Möglichkeit, sich Freunde auszusuchen oder Seiten zu liken, Nutzer zu abonnieren oder zu blockieren, sondern auch Beiträge bestimmter Personen oder Anbieter bevorzugt, weniger oder gar nicht anzeigen zu lassen. Auch bietet Facebook ein Feedback-Tool an, das dem Nutzer ermöglicht, einzelne Beiträge danach zu bewerten, ob er sie häufiger, auf jeden Fall oder gar nicht sehen möchte bzw. ob er indifferent dahingehend ist, sie angezeigt zu bekommen oder nicht.

Auf diese Weise ist Facebook die vielleicht demokratischste Form eines Medienangebots, das sich derzeit auf dem Markt befindet. Der Algorithmus, der sich regelmäßig in seinen Grundzügen verändert, basiert vor allem darauf, was der Nutzer tatsächlich sehen möchte.

Genau das scheint der politischen Klasse in Deutschland und der EU ein Dorn im Auge zu sein. Die sozialen Medien haben nicht nur geholfen, das langjährige faktische Informationsmonopol der Mainstreammedien aufzubrechen. Sie haben nicht dazu beigetragen, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, deren Existenz auch handfeste politische Konsequenzen hat.

So wären zivilgesellschaftliche Protestbewegungen von "Demo für alle" über den "Friedenswinter", Pegida oder Bewegungen gegen CETA und TTIP bis hin zur Kampagne für die Finanztransaktionssteuer ohne die sozialen Medien mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf die Resonanz gestoßen, die ihnen zuteil wurde. Auch Erfolge neu entstandener politischer Parteien wie der Piratenpartei oder der AfD beruhen vor allem auf deren Präsenz in den neuen Medien. Die Auswahl zeigt, dass der Erfolg effizienter Online-Arbeit nicht in erster Linie davon abhängt, ob die dahinterstehenden Akteure politisch links, rechts oder in der Mitte stehen – entscheidend ist, dass die Dezentralisierung der Informationspolitik etablierte Strukturen infrage stellt.

Ähnlich wie die traditionellen Medien meist sehr pikiert auf die "Lügenpresse"-Vorwürfe und den Zuspruch zu alternativen Medien reagieren, macht auch die Politik nicht eigene Versäumnisse, sondern das "falsche Bewusstsein" der Massen für ihre Krise verantwortlich. Dieses wird nach Meinung der bedrängten Platzhirsche vor allem durch die Algorithmen der großen Social-Media-Plattformen genährt. Deren Ansatz, die Nutzer selbst entscheiden zu lassen, was sie sehen und lesen wollen, verkenne demnach, dass diese längst nicht in dem Maße wissen, was wirklich gut für sie ist- anders als die politische Führung des Landes.

Deshalb fordern mittlerweile auch immer mehr Politiker, Internetfirmen sollten dazu angehalten werden können, ihre Arbeitstechniken in der Öffentlichkeit darzustellen. Dass Anbieter wie Google schon lange auf eigenen Blogs öffentlich zugänglich erläutern, wie ihre Algorithmen funktionieren, und Facebook beispielsweise auf Wunsch erklärt, warum man als Nutzer welche Werbung angezeigt bekommt, reicht ihnen offenbar nicht aus.

EU-Digitalkommissar Günther Oettinger soll auf der Grundlage der Forderungen aus der Politik bis 2017 Regeln für Online-Plattformen ausarbeiten, die auch Transparenzfragen betreffen.

Worum es der Politik geht, ist auch nicht in erster Linie die Funktionsweise der Algorithmen von Facebook oder Google. Vielmehr bereitet ihnen gerade die Gegenöffentlichkeit Sorge, die über die neuen Medien entstanden ist und die eine "Verzerrung der Wahrnehmung" in "Echokammern" nach sich ziehe. Dass Internetnutzer sich von traditionellen Medien verabschieden, weil diese Medien über Jahre hinweg in erster Linie Inhalte präsentiert haben, die nur ihrer eigenen Haltung entsprechen, wird zum Anlass, eine "Vergiftung der gesellschaftlichen Debatte" zu diagnostizieren.

"Filterblasen" werden ergo zum Problem für die Demokratie, sobald diese sich auf der "falschen" Seite bilden. Deshalb will beispielsweise CDU-Netzpolitiker Thomas Jarzombek Nutzern sozialer Medien aktiv Inhalte präsentieren, die der sonst im Feed dominanten Meinung entgegenlaufen. Gegenüber Spiegel online äußert er:

Wenn wir Vielfalt statt Echokammern wollen, müssen wir das jetzt diskutieren.

Inwieweit es tatsächlich möglich sein wird, paternalistische Vorstellungen dieser Art tatsächlich in die Tat umzusetzen, ohne die Verfassung oder die unternehmerische Freiheit der Social-Media-Anbieter in unzulässiger Weise zu verbiegen, bleibt ungewiss. In einem Land und in einer Zeit, da in der Politik auch allen Ernstes darüber nachgedacht wird, durch Gesetze und Verordnungen den Absatz von Schweinefleisch in Schulkantinen zu sichern, sollte man jedoch damit rechnen, dass auch im Medienbereich noch einige schillernde Ideen zur Marktordnung das Licht der Welt erblicken werden.