Autorius: Gast Autor Šaltinis: https://www.compact-online.de/... 2021-11-12 18:59:00, skaitė 691, komentavo 0
Am 4. November 2011 enthüllten Staat und Medien das NSU-Konstrukt. COMPACT hat immer mit eigenen Recherchen dagegengehalten. Wir präsentieren zum 10. Jahrestag die Highlights unserer Recherchen zum Thema. Heute: Das Geheimdienstphantom. COMPACT-Edition veröffentlicht die Geheimakten zum NSU – hier bestellen.
Agentenlexikon (1): Die Sicherheitsbehörden gehen mittlerweile von 129 Unterstützern des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) aus. Darunter sind etliche V-Leute.
_ von Kai Voss
Andreas Temme, der Pate: «Hat ein Verfassungsschützer einen der NSU-Morde begangen?», untertitelte Die Zeit am 5. Juli 2012 eine Recherche über den Tod von Haliz Yozgat am 6. April 2006 in Kassel. Gemeint war Andreas Temme, Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, zum Tatzeitpunkt 39 Jahre alt. Temme hat sich aber nicht nur in diesem Fall höchst verdächtig gemacht, sondern «war bei sechs der neun Morde in der Nähe des Tatortes» (Bild, 15.11.2011).
GP 389, Liebling des Paten: Temme telefonierte 16:11 Uhr mit der von ihm geführten Gewährsperson 389. Das war weniger als eine Stunde vor dem Mord an Halit Yozgat. Bei den Ermittlungen wurde vom Innenministerium hartnäckig eine Offenlegung der Identität von GP 389 verweigert. Einem polizeilichen Vermerk zufolge würde der Verlust dieser Quelle (durch die Vernehmung) für den Verfassungsschutz «das größtmögliche Unglück» (Spiegel, Nr. 15/2013) bedeuten. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass es sich bei GP 389 um Benjamin Gärtner aus Helsa bei Kassel handelt. Günter Rudolph, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, musste zugeben, dass Temme «einen V-Mann aus dem NSU-Umfeld geführt und kurz nach dem Mord mit ihm Kontakt» (HR Online) hatte. Also vor dem Mord und noch einmal danach? Gärtner, Spitzel von 2003 bis mindestens 2006, hatte Zugang zur Kameradschafts-Szene in Kassel, sein Stiefbruder soll Kameradschaftsführer gewesen sein. Dieser Stiefbruder war ebenfalls im Milieu der Vereinigung Blood & Honour aktiv – dieselbe Struktur, die dem Trio beim ersten Untertauchen geholfen haben soll.
VP 562, Sprengstoff lieferant: Thomas Starke hatte schon früh mit dem Geheimdienstuntergrund zu tun. Wie aus seiner Stasi-Akte hervorgeht, spitzelte er bereits in der DDR ab April 1986 und informierte über die Fußballszene. Nach dem Fall der Mauer radikalisierte sich Starke und wurde beim sächsischen Blood & Honour aktiv. Von Ende 1996 bis April 1997 hatte er eine Aff äre mit Beate Zschäpe und besorgte einen Schuhkarton voll TNT, insgesamt 1,1 Kilogramm. Auch nach dem Abtauchen war Starke der erste Anlaufpunkt für das Trio und
besorgte ihnen einen Unterschlupf in Chemnitz. Im Jahre 2000 wurde Starke vom Berliner LKA angesprochen. Er wurde für das Verfahren gegen die Band «Landser» angeworben, wie auch an-dere Spitzel im NSU-Umfeld. Starke, der vom 16. November 2000 bis zum 7. Januar 2011 Zuträger war, beteiligte sich an der Produktion verfassungsfeindlicher Musikalben, unter anderem durch einen Zuschuss von etwa 9.000 D-Mark für die Musikgruppe Landser. Woher kam das Geld? Die Vermutung liegt nahe, dass Starke schon vor seiner Arbeit für den Berliner Staatsschutz für eine Behörde arbeitete und sich bei der rechtsextremen Rockband «einkaufte». Das kann aber auch bedeuten, dass er zum Zeitpunkt der Unterstützungshandlungen für das untergetauchte Trio in staatlichem Auftrag handelte. Zwischen 2001 und 2005 (dem Jahr seines Szeneausstiegs) soll VP 562 bei 38 Treffen mindestens fünf Mal Hinweise zum Trio an die Berliner Behörde gegeben haben. Am 13. Februar 2002 meldete er «Jan Werner soll zurzeit Kontakt zu drei Personen aus Thüringen haben, die per Haftbefehl wegen Sprengstoff – und Waff enbesitzes gesucht werden.» Jan Werner, Produzent der Landser-CDs, wird mittlerweile verdächtigt, dem NSU Waff en geliefert zu haben. Warum solche Informationen nicht weiter verwertet wurden, bleibt unklar, denn schließlich werden Szene-interne Zuträger doch genau aus diesem Grund geführt!? Oder wussten die Behörden schon genau, wo die Drei untergekommen waren?
Corelli, Ku-Klux-Klan: Thomas Richter wurde von 1997 bis 2007 vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführt und soll über die Jahre mindestens 150.000 D-Mark für seine Dienste erhalten haben. Als den Untersuchungsausschüssen die Existenz von Corelli bekannt wurde, mauerte das Bundesinnenministerium und verweigerte lange Zeit eine entsprechende Bestätigung und die Preisgabe der Akten.Richter hat sich seinen Decknamen wohl selbst ausgesucht. Informationen zufolge fuhr er einen Corrado mit Pirelli-Reifen… Auch Richter war im B&H-Netzwerk eingebunden, gründete aber zudem den deutschen Zweig des Ku-Klux-Klans. Später besuchte er öfters einen württembergischen Ableger des KKK, der ebenfalls von einem Spitzel geführt wurde. Dort waren auch Kollegen der später erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter aktiv. Richter sponserte
den Aufbau des schwäbischen KKK, vermutlich mit seinem Honorar vom Verfassungsschutz.Der sachsen-anhaltinische Rechtsextremist war sehr umtriebig. So hat er auch beim Szenemagazin Der Weiße Wolf mitgewirkt, in dem 2002 der ominöse Gruß an den Nationalsozialistischen Untergrund erschien – die erste Nennung dieses Namens. Die Kontaktdaten Richters wurden schon im Januar 1998 auf einer Liste Uwe Mundlos‘ gefunden, aber nicht näher verfolgt. Die Liste enthielt die Kontaktdaten von 35 Neonazis.Corelli soll mittlerweile in einem Zeugenschutzprogramm, unbestätigten Informationen zufolge in Großbritannien, untergebracht worden sein.
Otto/Oskar, Kopf des Thüringer Heimatschutzes: Tino Brandt war mehrere Jahre die beste Quelle des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz. Angeworben wurde er 1994/1995. Für seine Tätigkeiten hat er über die Jahre durchschnittlich etwa 2.500 D-Mark monatlich bekommen. Otto (später Oskar) selbst war so auf das Geld angewiesen, dass er seinen Posten als Landessprecher der NPD aufgab, um nicht unter die Anweisung zu fallen, dass der Verfassungsschutz keine Neonazis aus Führungsetagen führen solle. Brandt war lange Zeit der Kopf des Thüringer Heimatschutzes (THS), einer neonazistischen Dachorganisation, an deren Treff en auch das Trio häufi g teilgenommen haben soll. Maßgeblich aufgebaut wurde die Organisation aber von einem anderen Verfassungsschützer, der noch genannt werden wird. Im Jahr 2000 soll Brandt im Auftrag des VS Geld an das Trio übermitteln. Angeblich, um den Dreien damit auf die Spur zu kommen. Das Geld kam nie in Sachsen an. Auch bei den Te-lefonaten zwischen Brandt und Uwe Böhnhardt versäumte der Geheimdienst, die Spur zu Böhnhardt zurückzuverfolgen.
Ein Transparent vor dem Gerichtsgebäude des NSU-Verfahrens erinnert an die Zehn Mordopfer. Foto: Archiv
GP Alex, Fluchthelfer: Andreas R. wurde 1996 im Gefängnis angeworben, wo er eine Strafe wegen Körperverletzung absitzen musste. Bis zum August 1998 hat Alex Erkenntnisse aus der Szene an den Thüringer Verfassungsschutz geliefert. Als das Trio Anfang des Jahres 1998 untertauchte, bediente es sich eines Fluchtfahrzeugs, das aber liegenblieb. Alex holte das Fahrzeug aus Sachsen zurück, soll es seinen geheimdienstlichen Führungspersonen aber (sogar auf konkrete Nachfrage hin) verschwiegen haben. R. galt zu jener Zeit als eine der Führungspersonen im Raum Saalfeld-Rudolstadt, dem Kerngebiet des Thüringer Heimatschutzes.
Strontium, Musikmanager: Mirko H., der im sächsischen Langburkersdorf geboren wurde, war Gründer des sächsischen Zweigs der Hammerskins. Analog zu anderen Spitzeln war auch er am Verfahren gegen die Musikgruppe Landser und maß-geblich an der Produktion des kriminalisierten Albums Ran an den Feind beteiligt. Wahnsinn: H. gründete mit Fördergeld des Freistaats Sachsen ein Unternehmen, das den Vertrieb rechtsradikaler Musik organisierte. Unter dem Decknamen Strontium wurde er seit Mitte der 1990er-Jahre vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführt und 2002 abgeschaltet. Wie nah er am Trio war, lässt sich heute kaum noch sagen. Die ideologische, zeitliche und räumliche Nähe hat defi nitiv bestanden, persönliche Kontakte ins Umfeld gab es ebenfalls. H. ist ein Paradebeispiel dafür, dass der Verfassungsschutz seine Arbeitsgrundlage selber schuf, indem er über V-Leute an der Radikalisierung der rechten Szene mitwirkte.
Primus, Fahrzeug-Beschaff er: Noch ein V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz war an der Herstellung und dem Vertrieb der CDs der mittlerweile verbotenen Musikgruppe Landser beteiligt: Primus alias Ralf Marschner, der seit 1992 im Dienst der Behörden stand. Marschner war früher Gelegenheitsarbeiter, eröffnete dann einen Szeneladen in Zwickau und stieg – vermutlich durch die Finanzspritzen aus seiner Spitzeltätigkeit – zum Bauunternehmer auf. Ein früherer Verfassungsschützer, Michael Faber, wies bereits im Sommer 2012 auf die «Zwickauer Quelle» hin und sprach von einer «problembehafteten Führung in einem sensiblen Bereich». Tatsächlich war Primus eine Größe in der rechten Szene Zwickaus (dem endgültigen Unterschlupf des Trios) und hatte sehr enge Beziehungen nach Chemnitz (dem ersten Unterschlupf). Auch die guten Kontakte ins Blood & Honour-Milieu Sachsens räumte Primus ein. Diese Organisation soll immerhin maßgeblich das erste Untertauchen ermöglicht haben. Aus einem weiteren Grund ist es unglaubwürdig, dass Primus nie von den Dreien erfahren haben will: Marschner pflegte engen Kontakt mit André Eminger aus Zwickau, einem der Beschuldigten im NSU-Prozess. Eminger wird vorgeworfen, maßgeblich an der Beschaffung der Fahrzeuge für die vermeintliche Terrorzelle beteiligt gewesen zu sein. Nur für zwei Morde konnten angeblich keine Anmietungen nach-gewiesen werden – die im Juni und August 2001 in Nürnberg und München. Zu beiden Zeiten hatte Marschner in Zwickau Fahrzeuge angemietet (einen Audi A2, einen Mercedes Sprinter und einen VW Golf), mit denen viele Kilometer zurückgelegt wurden. Hat Marschner dem Trio ein Fahrzeug überlassen? Oder hatte er Eminger ein Fahrzeug überlassen, der dieses weitergab? Primus bestreitet das, genauso, wie er bestreitet, von den Aufenthaltsorten des Trios gewusst zu haben. Michael Faber, der genannte Verfassungsschützer, hält die Dementi seines ehemaligen Informanten für Schutzbehauptungen. Überhaupt steht die Frage im Raum, warum Primus nicht trotz seiner Stellung innerhalb der Szene auf das Aufspüren der Untergetauchten angesetzt wurde.
VP 620: Dieser Informant wurde ebenfalls vom LKA Berlin im Rahmen des Landser-Verfahrens angeworben. Über den Zuträger aus Bautzen ist bekannt, dass er Hinweise auf einen Beschuldigten im NSU-Verfahren geliefert hat. Im Verfahren gegen die Rockband gibt es nur einen aus Bautzen, der in den Vertrieb der Musikalben eingebunden war: Sandro W. Dieser bestritt gegenüber Neues Deutschland, VP 620 gewesen zu sein.
_ Kai Voss, Mitarbeiter einer Behörde in Dresden, verfasste COMPACT Spezial Nr. 1 Operation Nationalsozialistischer Untergrund – Neonazis, V-Männer und Agenten. In der nächsten Ausgabe wird er weitere Spitzel im Umfeld der NSU-Zelle beleuchten. So zum Beispiel V-Mann Piato vom Brandenburger Verfassungsschutz, Quelle 2100 alias Hagel, Gewährsperson Tristan und nicht zuletzt jenen V-Mann, der noch vor Tino Brandt den Thüringer Heimatschutz aufbaute.