Autorius: Dagmar Henn Šaltinis: https://deutsch.rt.com/meinung... 2022-09-29 15:50:00, skaitė 567, komentavo 0
Bundeskanzleramt, 09.12.2019
Von Dagmar Henn
Nehmen wir einmal an, die Bundesregierung hätte von dem Anschlag auf die Nord Stream Pipelines weder gewusst noch diesen gebilligt, und nehmen wir ebenfalls an, die Hauptverdächtigen, die Vereinigten Staaten, seien der Täter. Welche Konsequenzen müsste eine deutsche Regierung aus diesem Vorfall ziehen?
Das ist, zugegeben, eine sehr hypothetische Frage, weil eine Regierung, die die deutsche Souveränität schätzt, schon der Nichtinbetriebnahme von Nord Stream 2 nicht zugestimmt hätte. Und man muss sich da nichts vormachen, hätte die Bundesregierung auf die Manöver innerhalb der EU, eine Inbetriebnahme zu verhindern, mit der Drohung reagiert, andernfalls die EU zu verlassen, wäre mit diesen Manövern schnell Schluss gewesen. Von einer Zustimmung zu den Sanktionen muss man in diesem Zusammenhang gar nicht erst reden. Die Energieversorgung ist der Blutkreislauf jeder industriellen Gesellschaft und ohne eine funktionierende Ökonomie bleibt Souveränität eine Illusion.
Aber dennoch, um zu bewerten, was das Handeln der tatsächlichen Bundesregierung besagt, sollte man das einer hypothetischen Regierung im nationalen Interesse betrachten. Welche Handlungsoptionen hätte sie, beziehungsweise wie müsste sie auf ein solches Ereignis reagieren?
Es handelt sich um einen schwerwiegenden terroristischen Angriff auf Deutschland, insbesondere auf für die deutsche Bevölkerung lebenswichtige Infrastruktur. Dass die Pipelines zurzeit beide nicht in Betrieb waren, ändert an dieser Tatsache nichts. Schließlich hätte es in der Entscheidungsgewalt der Regierung gelegen, diesen Zustand jederzeit zu ändern. Ein solcher Angriff ist eine Kriegshandlung, eine Handlung eines unerklärten Krieges – aber das ist in der NATO so üblich. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass dieser Angriff aus sich heraus einen Kriegszustand herstellt.
Diese hypothetische deutsche Regierung hätte also gestern im Laufe des Tages feststellen müssen, dass sie sich im Krieg mit den Vereinigten Staaten befindet – nicht durch eigenes Wollen, sondern weil die Vereinigten Staaten einen extraterritorialen Angriff auf für Deutschland lebenswichtige Infrastruktur durchgeführt haben.
Ein Angriff eines NATO-Mitglieds gegen ein anderes NATO-Mitglied. Für solche Fälle gibt es ein historisches Vorbild, genau eines – den türkischen Angriff auf Zypern und den darauffolgenden Austritt Griechenlands aus der NATO.
Ich will nicht die Hintergründe des Zypernkonflikts beleuchten, ich nehme ihn nur als technisches Beispiel. Die türkische Armee landete auf Zypern am 20. Juli 1974. Am 14. August hatte Griechenland die NATO verlassen. Das bedeutet, in einem solchen Fall gibt es keine langen Fristen; der Austritt wäre sofort möglich.
Das würde natürlich einige Probleme nach sich ziehen. In diversen Ländern vor allem Osteuropas sind deutsche wie US-Truppen stationiert, die sich plötzlich im Krieg miteinander befänden. An diesem Umstand könnte aber die deutsche Regierung nichts ändern. Die einzige Option wäre, diese Truppen so schnell wie möglich abzuziehen. Gleiches würde für sämtliche Auslandseinsätze gelten.
Zeitgleich mit dem Austritt aus der NATO müsste ein Ultimatum an die in Deutschland stationierten US-Truppen erfolgen: Sagen wir einmal, Abzug binnen 24 Stunden, mit der Ankündigung, dass sämtliche US-Stützpunkte nach Ablauf dieser Frist blockiert und von jeglicher Versorgung abgeschnitten würden.
Grundsätzlich wäre es legal, da der Kriegszustand bereits besteht, diese Truppen sofort anzugreifen (zugegeben, mit der Bundeswehr ein interessantes Experiment). Aber zum einen würde das unnötig eigene Truppen kosten, und zum anderen gibt es durch die Option der Blockade durchaus weniger gewaltsame Möglichkeiten, die mehr politischen Spielraum lassen.
Das oberste Ziel jeder militärischen Handlung ist ein politisches, und in diesem Fall besteht das politische Ziel, zumindest das erste politische Ziel, in der völligen Wiederherstellung der deutschen Souveränität, was es nötig macht, die US-Truppen außer Landes zu befördern, aber nicht, sie militärisch anzugreifen.
In der wirklichen Welt ist das natürlich viel komplizierter, weil die gesamte Führungsriege der Bundeswehr auf die NATO hin orientiert und sehr US-freundlich ist. Der stellvertretende Generalinspekteur hat sogar mehrere Jahre bei den US-Truppen verbracht. Ganz zu schweigen von den Loyalitäten der realen Bundesregierung …
Warum wäre eine "friedliche" Variante einer Abzugsaufforderung günstiger? Weil es nicht hundertprozentig klar ist, wie andere NATO-Mitglieder reagieren. Berlin hat die letzten Jahre zwar damit verbracht, sich möglichst viele Feinde zu schaffen, das besagt aber noch lange nicht, wie beispielsweise Frankreich auf eine solche Entwicklung reagieren würde. Frankreich war lange nicht Mitglied der NATO und das französische Militär dürfte seine eigene Meinung bezüglich einer solchen US-amerikanischen Handlung haben und nicht erfreut sein. Es wäre also politisch klug, etwas Zeit vergehen zu lassen, damit die Binnenverhältnisse des Ex-Bündnisses in Bewegung geraten können.
Es gäbe natürlich einen sehr deutlichen Schachzug. Das wäre ein vollständiger, sofortiger Seitenwechsel entlang der globalen Konfliktlinie, indem man den NATO-Austritt mit einer Bitte um Beistand zur Sicherung der deutschen Souveränität an Russland und eventuell China koppelt. Das würde zumindest den USA irgendwelche dummen Gedanken schnell austreiben. Aufgrund der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten der Angreifer sind, stünde da auch das Problem des Friedensvertrags nicht im Weg. Im Gegenteil, man könnte freundlich anfragen, ob die russische Armee die freiwillig aufgegebenen Rechte auf Truppenstationierung wieder in Anspruch nehmen möchte.
Das ist in Bezug auf die politische Kernfrage der Souveränität nicht ganz unproblematisch, aber gegen die USA auf die Bundeswehr zu setzen, würde nicht wirklich weit tragen. Schon rein mengenmäßig nicht. Und da es sich um einen Gegner handelt, dessen Neigung zu terroristischen Methoden gerade bestätigt wurde, bräuchte es erstens Einheiten der eigenen Truppen für die Gewährleistung der inneren Sicherheit und zweitens vor allem eine gut funktionierende Luftabwehr, die es mit allem aufnehmen kann, was die USA durch die Luft schicken – und dafür gibt es weltweit nur eine Adresse.
Wir sehen schon, keine einfache Aufgabe. Erst recht nicht, wenn wir mit berücksichtigen, dass die augenblickliche Regierung des unmittelbaren Nachbarn im Osten, Polen, auf jeden Fall sofort die Seite der Vereinigten Staaten einnehmen würde. Das zeigte schon der Tweet des ehemaligen Außenministers Sikorski deutlich genug. Auch der polnische Präsident Duda hatte erst vor einem Monat die "Demontage von Nord Stream 2" gefordert. Die östliche Grenze müsste also auf jeden Fall besonders gesichert werden.
Ein noch größeres Problem wäre die Frage eines Austritts aus der EU. Es bräuchte einige Tage, um zu klären, ob dieser erforderlich ist oder nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit wäre hoch, dass es die EU zerreißt, vorausgesetzt, allen lägen die gleichen Informationen vor.
Die Zerstörung dieser Pipelines schadet nicht nur Deutschland, sondern vermittelt durch das europäische Gasleitungsnetz die Auswirkungen auf die Stromversorgung auch noch anderen europäischen Ländern, sodass sich zwar hundertprozentig sagen lässt, welche Haltung die EU-Kommission einnehmen wird, aber nicht die einzelner Länder wie Bulgarien, Frankreich oder Portugal. Wie auch immer die Verhältnisse ausfallen dürften – der Minderheitsblock würde die EU verlassen, und die Kommission würde dementsprechend neu besetzt.
Ob der Euro weiter bestünde, würde sich damit entscheiden. Wenn nicht mindestens zwei der drei großen Länder Deutschland, Frankreich und Italien in dieser Struktur bleiben würden, dürfte er verschwinden. Die dann neu entstehenden Währungen wären wahrscheinlich alle schwach, weil die gesamte Welt wüsste, dass der europäischen Industrie gerade die notwendige Basis entzogen wurde.
Aber das ganze Bündel an Fragen rund um die EU und den Euro ist im Grunde zu kompliziert, um es kurz anzureißen. Nötig ist nur, im Blick zu behalten, dass jeder Schritt in diese Richtung Auswirkungen auf teils ebenfalls lebensnotwendige Handelsströme hat (ich kann es nicht oft genug wiederholen, 80 Prozent der pflanzlichen Lebensmittel in Deutschland sind importiert).
Abgesehen davon, die zwei notwendigen Punkte zu vollziehen, Anerkennung des Kriegszustands und Austritt aus der NATO, gäbe es noch eine ganze Reihe weiterer dringender Aufgaben. Schließlich ist durch die Sabotage der Pipelines, ob sie nun einen dauerhaften Schaden verursacht oder nicht, die Versorgung der deutschen Bevölkerung noch stärker gefährdet, als sie es ohnehin schon war.
Das Problem der winterlichen Kälte kann nur begrenzt behoben werden. Aufgrund der besonderen Notlage würde jedes Verbot von Kohle- oder Holzheizungen aufgehoben. Das würde zumindest etwas Entlastung schaffen. Es wäre zu prüfen, wie zusätzliches Brennholz verfügbar gemacht werden kann.
Selbst im Falle einer möglichen Wiederinbetriebnahme der Nord Stream Pipelines müsste für die Zeit bis dahin die Energieversorgung gesichert werden. Dafür wird es nicht genügen, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern. Um zeitlichen Spielraum zu gewinnen, müsste gründlich geprüft werden, welche Kohlegruben mit welchem Aufwand wieder in Betrieb genommen werden könnten, denn Importe würden durch die Folgen für die Währung auch bei Kohle extrem teuer werden. Vielleicht gibt es doch Kohlegruben, die nicht zubetoniert, sondern nur geflutet wurden. Klar ist jedenfalls, die Klimapolitik macht zumindest Pause.
Das gilt auch für die Landwirtschaft. Die Produktion von Biomasse muss zurückgefahren und eine Nahrungsmittel produzierende Landwirtschaft wiederhergestellt werden. Gerade, wenn die Verfügbarkeit von Kunstdünger fraglich ist, dürfen große Flächen nicht für Biomasse vergeudet werden.
Und jetzt nur als weiterer Schritt im Gedankenspiel: Was, wenn eine Reparatur der Pipelines möglich wäre, aber Dänemark, durch dessen Hoheitsgewässer ein Teil von Nord Stream 2 verläuft, und in dessen exklusiver Wirtschaftszone die Schadstellen liegen, die Genehmigung einer Reparatur verweigert? Weil es nach wie vor im Auftrag der USA handelt? Man sieht, ein Weg der Souveränität bräuchte nicht nur Entschlossenheit, sondern auch höchst fähiges Personal …
Wie auch immer man es dreht, es findet sich kein einfacher Ausweg. Allerdings muss man eines festhalten – ohne Souveränität wird eine schlechte Lage noch schlechter. Nachdem das Bündnis mit den Vereinigten Staaten schon dafür gesorgt hat, nicht nur den Wohlstand, sondern auch die Voraussetzungen für ein Leben in Deutschland infrage zu stellen, hat der nun stattgefundene Angriff diese Frage in dem Sinne beantwortet, dass sie nicht mehr vorhanden sind. Damit ist die Erringung der Souveränität der erste notwendige Schritt auf dem Weg zur Besserung.
Ohne diese Voraussetzung ist keine Lösung möglich, denn der Weg im Schlepptau der Vereinigten Staaten ist klar: ein ungebremster Absturz. Der erste Schritt ist, um ihn zumindest abfangen zu können, zu erkennen, wer der Feind ist.