Autorius: Sven Reuth Šaltinis: https://www.compact-online.de/... 2023-02-23 23:45:00, skaitė 523, komentavo 0
Ganz Deutschland redet vor der großen Friedensdemo am Samstag über Sahra Wagenknecht. Insbesondere deren Positionen zur Schaffung einer neuen Wirtschaftsordnung sind einer näheren Beschäftigung wert. Die Hoffnungsträgerin vieler Oppositioneller steht für Klartext. Ihr Buch „Die Selbstgerechten“ rechnet mit dem linkem Mainstream ab. Hier mehr erfahren.
Vor der großen Friedensdemo, für die Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer für den kommenden Samstag aufgerufen haben, redet mal wieder ganz Deutschland über die streitbare Politikerin aus Jena. Schon seit Jahren gilt Sahra Wagenknecht als eine „Provokateurin“ oder „Populistin“, die ihre Positionen jenseits der politischen Gesäßgeographie von rechts und links formuliert und dabei mitunter auch kräftig gegen die Regeln der politischen Korrektheit verstößt. Dies führt mitunter zu drastischen Feinderklärungen im eigenen Lager, die nochmals zugenommen haben, seit die Bundestagsabgeordnete eine eigene Parteigründung erwägt.
Doch schon vor sechseinhalb Jahren veranstalteten Teil der Linken eine regelrechte Hetzjagd auf die Politikerin, man denke nur an die von der Antifa verübte Schokotorten-Attacke, die sich auf dem Parteitag der Linken in Magdeburg im Mai 2016 ereignete. Schon damals waren trotz dieser wirklich gemeinen Attacke viele Angehörige des linken Spektrums nicht mit der Wagenknecht solidarisch.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) im Deutschen Bundestag. Sie ist eine in der Wolle gefärbte Wagenknecht-Hasserin. Foto: Juergen Nowak | Shutterstock.com
Man erinnere sich nur an den schriftlichen Zornausbruch der damaligen Bundestags-Vizepräsidentin und heutigen Bundesministerin Claudia Roth in der Zeit vom 27. Juli 2016. Hier geiferte Roth (sic):
„Wenn die Fraktionsvorsitzende einer Partei, die sich selbst ‚Die Linke‘ nennt, mit den Parolen der Trumps, Seehofers und Petrys Stimmung macht, muss man sich fragen, ob eine Partei mit einer solchen Frontfrau wirklich noch das Label Links für sich beanspruchen kann…Ähnlich wie die AfD schmeißt sie die Hetzmaschinerie an und spekuliert damit auch auf den eigenen Vorteil an der Wahlurne. Dass sie dafür kurzerhand im original CSU-Entmutiger-Populismus die Aufnahme von Geflüchteten pauschal für falsch und die Geflüchteten selbst allesamt zu einem (Sicherheits-)Problem erklärt, ist ihr dabei herzlich egal.“
Eines wird der Wagenknecht aber sicherlich niemand weder abstreiten können noch wollen: Als Autorin vielgelesener politischer Bücher gelingt es ihr immer wieder, komplexe volkswirtschaftliche Zusammenhänge verständlich zu machen und dabei doch anspruchsvoll in Analyse und Argumentation zu bleiben, ganz gleich, ob es sich um die Finanzkrise der Jahre 2007/2008, die Politik der Euro-Rettungsschirme oder die globalisierungsbedingte Erosion der Sozialen Marktwirtschaft handelt. Das macht auch ein Blick in ihr letztes Buch deutlich, das primär einem ökonomischen Thema gewidmet war. Auch in dem 2016 erschienenen Reichtum ohne Gier geht Wagenknecht zunächst einmal vom Grundsätzlichen aus. Ganz in der Tradition eines ordoliberalen Vordenkers wie Walter Eucken konstatiert sie die Selbstabschaffung des Wettbewerbs im Kapitalismus, der von sich aus zur Monopolbildung und Vermachtung neigt.
Wenige große Unternehmen teilen sich am Ende dieses Prozesses die Märkte auf und streichen Monopolgewinne ein, wobei gleichzeitig Produktivität und Innovation auf der Strecke bleiben. Nach Wagenknecht hat sich diese ohnehin vorhandene Tendenz im Wirtschaftsleben unserer Gegenwart nur besonders gut als „fiktive Vielfalt“ maskiert, die die eigentumsrechtliche Verbundenheit zahlreicher Marken verschleiert.
So stellt Wagenknecht fest, dass die Automarken VW, Audi, Porsche, MAN, Scania, Seat und Skoda „mehr oder minder den Familien Porsche und Piëch gehören“. Wenn genügend Marktmacht vorhanden ist, so Wagenknecht weiter, dann kann es durchaus dazu kommen, dass sich nicht der qualitativ bessere Anbieter durchsetzt.
Wagenknecht dazu:
„Ein jüngeres Beispiel für die Ausnutzung einer Schlüsselstellung zur Ausschaltung potentieller Konkurrenten ist der Browserkrieg von Microsoft gegen Netscape Anfang des Jahrtausends, den Microsoft trotz schlechterer Qualität seines Internet Explorers für sich entscheiden konnte. Der Trick war einfach: Microsoft nutzte sein bereits vorhandenes Monopol bei PC-Betriebssystemen. Das Unternehmen streute Zweifel hinsichtlich der Kompatibilität mit dem Netscape-Browser und programmierte Fehlermeldungen, die unsystematisch auftauchten, sobald dieser Browser auf einem Windows-Rechner installiert wurde. Netscape hatte unter solchen Bedingungen keine Chance, ebenso wie schon lange kein Anbieter von Betriebssystemen auf dem PC-Markt noch eine Chance gegen Microsoft hatte, egal wie mangelhaft und fehleranfällig dessen Programme sind.“
Für besonders gefährlich hält Wagenknecht die entstehenden Datenmonopole von Großkonzernen wie Google oder Facebook, die sich damit den „Zugriff auf Trillionen von Daten über unsere Vorlieben, Interessen und Kaufgewohnheiten, über unseren Freundeskreis, unsere Fitness oder unsere Mobilität“ sichern.
Sahra Wagenknecht bei einer Rede 2017. Foto: Ferran Cornellà, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons
Diesem Wirtschaftsfeudalismus stellt Wagenknecht ihr Konzept einer Gemeinwohlwirtschaft entgegen, die ihrer Auffassung nach von völlig anderen Unternehmensrechtsformen dominiert werden sollte als die heute gebräuchlichen Aktiengesellschaften und GmbHs. Auch hier greift Wagenknecht auf eine spezifisch deutsche Tradition zurück, nämlich die der „Unternehmensträger-Stiftung“.
Deren Urmodell ist die im Jahr 1889 in Jena von Ernst Abbe gegründete Carl-Zeiss-Stiftung, auf die Abbe und die damaligen anderen Mitgesellschafter ihre Anteile übertrugen, um so eine „Entpersönlichung“ der Unternehmensstruktur zu schaffen und dem Unternehmen eine Art Verfassung geben zu können, „deren Statut Prioritäten der Unternehmensführung und viele Details in der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen im Unternehmen regelte.“
Durch die Stiftung war außerdem sichergestellt, dass sowohl das unternehmerische Risiko als auch die Unternehmenskontrolle bei einer selbstständigen Einrichtung, aber nicht beim Staat lagen. Dies, so Wagenknecht, hatte zahlreiche positive Nebenwirkungen. Dazu schreibt sie in Reichtum ohne Gier:
„Das Statut sorgte allerdings dafür, dass nicht nur die Jenaer Universität, sondern auch viele soziale Einrichtungen in der Stadt von der Erträgen profitierten. So finanzierte die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena neben dem Neubau des Unigebäudes das Phyletische Museum, ein Anatomisches Institut, mehrere Kliniken und das Volkshaus mit großer öffentlicher Bibliothek.“
Als weiteres unternehmenspolitisches Beispiel für ihre Vorstellungen nennt Wagenknecht das Unternehmen Saarstahl, das sich ebenfalls in der Hand einer gemeinwohlorientierten Unternehmensträger-Stiftung befindet, die sich beispielsweise den Aufgaben der Förderung der Wissenschaft in Forschung und Lehre sowie der Förderung von Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung mit dem Ziel der Vermeidung von Arbeitslosigkeit verschrieben hat, und sich dennoch gut am krisengeschüttelten Stahlmarkt behaupten kann.
Schild vor der Unternehmenszentrale von YouTube im kalifornischen San Bruno. Der Sektor der Digitalwirtschaft ist satrk monopolisiert – und befindet sich in US-amerikanischer Hand. Foto: MariaX I Shutterstock.com.
Der wohl spektakulärste Vorschlag von Wagenknecht ist wohl ihre Überlegung, die „Infrastruktur der digitalen Ökonomie“ in die Hände „einer nicht gewinnorientierten Gemeinwohlgesellschaft“ zu legen und so die Versorgung mit Internet, Telefondiensten und Fernsehen zu gewährleisten.
Die Stoßrichtung solcher Ansätze wird von Wagenknecht ganz deutlich ausgesprochen:
„Wenn dagegen unser Leben in Form von Big Data immer umfassender und vollständiger auf den Servern von Datenmonopolisten gespeichert wird, verlieren wir noch mehr: unsere Freiheit und unsere Privatsphäre.“
Es steht sicherlich in den Sternen, wie realisierbar solche Vorschläge wirklich sind, denn zur Entmachtung solcher Weltkonzerne wie Google oder Facebook wäre wohl nicht weniger als eine Revolution nötig. Positiv an der Veröffentlichung Wagenknechts sticht aber hervor, dass sie ihre Zukunftsentwürfe konzeptionell sehr detailliert erläutert und es eben nicht nur bei vagen Absichtsbekundungen belässt. Klar ist auch, dass unter den deutschen Spitzenpolitikern wohl kein zweiter dazu in der Läge wäre, eine so anspruchsvolle wirtschaftspolitische Arbeit zu verfassen. Die Lektüre von Reichtum ohne Gier ist auf jeden Fall all jenen zu empfehlen, die nach Alternativen zur bestehenden Wirtschaftsordnung suchen – und die jetzt schon wissen wollen, wie das Wirtschaftsprogramm einer künftigen Wagenknecht-Partei aussehen könnte.
Wagenknecht wählt deutliche Worte, so auch in ihrem Buch „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm“, das weite Verbreitung verdient. Hier mehr erfahren.