Autorius: Thorsten Hinz Šaltinis: https://www.anonymousnews.org/... 2024-05-09 20:41:00, skaitė 758, komentavo 0
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Istanbul: Anbiederung und Affront in einem Foto
von Thorsten Hinz
Von der Präsidentschaft des Frank-Walter Steinmeier wird außer dem Gefühl von Leere nicht viel bleiben. Höchstens die Erinnerung an Peinlichkeiten und Mißgriffe wie jetzt in Istanbul, wo er am mitgebrachten Riesendöner herumsäbelte. Es ist zum Fremdschämen: Das deutsche Staatsoberhaupt reimportiert als Gastgeschenk türkisches Fast Food, das in Deutschland mit der Bratwurst und dem Hamburger konkurriert. Das ist taktlos gegenüber den Türken, die sich auf ein primitives Klischee reduziert sehen. Die Taktlosigkeit fällt auf Deutschland zurück.
Der Präsident hatte einen freundschaftlichen Brückenschlag beabsichtigt, was die Sache eher noch schlimmer macht. An die Adresse türkischer Gastarbeiter richtete er die Worte: „Sie haben unser Land mit aufgebaut.“ Zwischen diplomatischer Höflichkeit, die sich der Schmeichelei bedient, und plumper Anbiederei klafft ein Abgrund. Nicht die Bundesrepublik, sondern die Türkei hatte auf das 1963 geschlossene Anwerbeabkommen gedrängt. Die Bundesregierung gab nach, nicht zuletzt weil es um die Stabilisierung des Nato-Partners ging.
Noch blamabler wurde es, als der Bundespräsident sich um ein originelles Sprachbild bemühte: „Sie sind nicht Menschen mit Migrationshintergrund – Deutschland ist ein Land mit Migrationshintergrund.“ Er erklärte sich zum Präsidenten eines „Mihigru“-Landes, in dem die einheimischen Deutschen, die dem Land die Attraktion verliehen haben, die es für Migranten so anziehend macht, keine besondere Rolle mehr spielen. Die Türken, denen ein großer Nationalstolz eigen ist, werden das als Bestätigung sehen, daß es Deutschland an Selbstachtung und Behauptungswillen fehlt und sich überlegen, welche politischen und sonstigen Vorteile sie daraus ziehen können.
Der Bundespräsident ist laut Grundgesetz dem politischen Tagesgeschäft enthoben, was es ihm erlauben soll, über innenpolitische Gezeitenwechsel hinweg im Ausland die Würde, die Kontinuität, die Souveränität des Landes zu repräsentieren. Er wird auf der symbolischen, der ästhetischen Ebene tätig. Der britische Premier Boris Johnson wirkte oft wie ein Chaot; die Dignität der Queen, der internationale Respekt vor ihr blieben davon unberührt und strahlten auf ihr Land zurück. Ähnliches wünschte man sich angesichts einer irrlichternden Bundesregierung auch vom Bundespräsidenten.
Steinmeier verdoppelt die Peinlichkeiten der Minister. Seine verbale, die Körper- und die Symbolsprache sind unpräsidial. Den linken brasilianischen Präsidenten Lula da Silva begrüßte er bei dessen Amtseinführung mit einer Kumpelhaftigkeit, die allenfalls einem SPD-Parteivorsitzenden angestanden hätte, der einem Gesinnungsfreund zum Erfolg gratuliert. Ausgerechnet Lula belehrte ihn darüber, daß für ihn bei aller ideologischer Nähe die Prioritäten Brasiliens woanders liegen, als Steinmeier meinte. 2022 wiederum nahm Steinmeier unwidersprochen hin, daß der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk ihn mehrmals in übler Weise anging und in der Person des Staatsoberhaupts auch Deutschland öffentlich demütigte.
Nach außen würdig-repräsentativ, nach innen integrativ zu wirken – den einen wie den anderen präsidialen Auftrag läßt er unerledigt. Das Buch „Wir“, das er kürzlich veröffentlicht hat, enthält eine Ansammlung von Platitüden, die keine Rezension, doch immerhin einen Befund erlauben. 75 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes und 35 Jahre nach dem Mauerfall sieht er Deutschland als ein starkes Land, in dem eine „Realpolitik der Transformation“ stattfindet, die den Verbrennungsmotor verbannt und das Land auf Windrad-Energie umstellt. Angehörige unterschiedlicher Ethnien, Religionen und Kulturen arbeiten an einem „demokratischen Patriotismus“, an einem neuen „Wir“, das hervorgeht „aus der Zustimmung zu den Regeln, die wir uns in demokratischen Verfahren geben“.
Der Präsident wiederholt nicht nur die verstaubten Habermas-Phrasen zum Verfassungspatriotismus, er legt sogar noch nach. Wer nämlich dieses Demokratie-Modell für weltfremd hält, weil er die Pro-Kalifat-Bekundungen auf deutschen Straßen und den – von Steinmeier ignorierten – islamistischen Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016 im Hinterkopf hat, der muß draußen bleiben und sich sagen lassen, daß er „verfassungsfeindlichen Phantasmen“ anhängt und einem „rechtsextremem Netzwerk“ nahesteht, das Millionen Deutsche „ihrer Bürgerrechte berauben und sie aus dem Land drängen will“: Der Präsident stellt sich als Transformations-Aktivist vor, definiert den Staat als Exekutionsorgan des gesellschaftlichen Umbaus und sortiert den Demos nach Freund und Feind.
Die Abwesenheit einer nach außen würdig-repräsentativen, nach innen integrativen Staatssymbolik und die Umwertung des Staatsethos sind zwei Seiten derselben Medaille. Auf der Ebene der operativen Politik herrscht pure Verhäßlichung, in der sich die Selbstentpflichtung von rationaler, dem Gemeinwesen dienender Politik bildhaft artikuliert. Die Aufhebung disziplinierender Formen und verpflichtender Konventionen setzt eine kulturelle und intellektuelle Verwahrlosung frei.
Saskia Esken, die immerhin der SPD vorsitzt, erscheint auf der Trauerfeier für ihre Parteifreundin Heide Simonis in weißen Turnschuhen. Irgendein vernunftbegabter Beitrag von ihr zu den brennenden Problemen unserer Zeit ist nicht bekannt. Die grüne Außenministerin hopst in Finnland in einem Luftschutzbunker herum, als wäre sie wieder ein Kind, das auf dem Schulhof „Himmel und Hölle“ spielt.
Ganz nebenbei stellt sie schon mal den Kriegszustand mit Rußland fest. Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die auf die 70 zusteuert, kleidet sich und redet wie eine 17jährige Hippie-Maid. Mit dem deutschen Kulturerbe kann sie naturgemäß nichts anfangen. Der als Wehrexpertin der grünen Bundestagsfraktion dilettierenden Agniezka Brugger ist mit ihrem Lippen-Piercing die Dysfunktionalität schon ins Gesicht geschrieben. Ein besonderer Fall ist Wirtschaftsminister Robert Habeck, der sich mit Dreitagebart, verwuschelten Haaren und offenem Hemdkragen zeigt.
Ein sorgsam stilisiertes Chaos, das signalisieren soll: Ich bin weder ein aalglatter Karrierist noch ein Wald-und-Wiesen-Heini aus der Frühzeit der Partei; ich bin etwas Neues, eine Überraschung, ein großes Versprechen. Inzwischen wird seine Aufmachung als die eines politischen Roßtäuschers wahrgenommen. Der Kanzler Olaf Scholz ließ in Hamburg seinen stilbewußten französischen Staatsgästen Fischbrötchen servieren.
Unsere Politiker mögen denken, auf diese Weise Bodenständigkeit oder Lockerheit, auf jeden Fall unverstellte Ehrlichkeit zu vermitteln und ihr Gegenüber damit für sich einzunehmen. Doch hat man im Ausland längst durchschaut, daß der Formverlust ein Ausdruck von Substanzverlust ist. In internationalen Foren dozieren Baerbock, Habeck und sogar Scholz schon mal vor leeren Stuhlreihen, was das deutsche Fernsehen schamhaft kaschiert.
Das Dilemma hat eine lange Vorgeschichte. Der deutsche Nationalstaat hatte von Anbeginn an Schwierigkeiten mit der Selbstdarstellung. Er war eine Schöpfung Preußens. Das erste Oberhaupt des Deutschen Reiches, der alte Wilhelm I., nahm seine Pflichten als Kaiser ernst, aber in seiner Präsentation blieb er der preußische König, der auf kaiserliches Gepränge keinen Wert legte. Sein Enkel Wilhelm II. wollte das Defizit beheben, leider war er der Falsche, um dem „ruhelosen Reich“ (Michael Stürmer) eine sichere Form zu geben; seine Großsprecherei und die pathetischen Auftritte reflektierten vielmehr dessen Nervosität. Die Weimarer Republik währte zu kurz und war zu krisenhaft, um ikonische Selbstbilder hervorzubringen. Das Dritte Reich schließlich ästhetisierte die Macht zum Zweck der Einschüchterung – mit den bekannten Folgen.
In demonstrativer Abkehr verzichtete die Bundesrepublik auf repräsenative Formen und Rituale. Sie pflegte Pragmatismus. Festigkeit fand der junge Staat in der Selbstsicherheit herausragender Repräsentanten, die aus älteren Beständen – von der Bürgerlichkeit bis zu den Traditionen der Arbeiterbewegung – schöpften. Doch die hatten sich mehr und mehr erschöpft.
Entsprechend groß waren die in die Wiedervereinigung gesetzten Erwartungen. Im Herbst 2006 erschien das Merkur-Sonderheft „Zur Physiognomie der Berliner Republik“. Sein Herausgeber Karl Heinz Bohrer hatte sich als härtester Ästhetik-Kritiker der späten Bonner Republik – den „sozial befriedigten Raum“ und „politisches Vakuum“ – hervorgetan. Hart urteilte er über das politische Personal, das daraus hervorgegangen war: „Abwesenheit von Finesse, Mangel an Artikulation ist offenkundig; eine merkwürdige Verwaschenheit der Züge läßt das Auge vergeblich nach Artikulation suchen.“
Nun meinte er Silberstreifen am Horizont zu entdecken. Der Umzug nach Berlin war abgeschlossen, Kanzler Gerhard Schröder hatte Deutschland zur „erwachsenen Nation“ erklärt, die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 war bereits während sie stattfand zum „deutschen Sommermärchen“ verklärt worden. Die Sehnsucht nach Normalisierung lag in der Luft. Die provinzielle Ahnungslosigkeit der Bundesrepublik, die auf teutonisch-aufdringliche Weise nicht mehr deutsch, sondern post- und transnational sein wollte, sei „seit einigen Jahren einem pragmatischeren, weltläufigeren Selbstverständnis des Nationalen gewichen“, so Bohrer.
Das war ein Mißverständnis, das sich aus dem Beitrag des Politikwissenschaftlers Stephan Schlak erschließt. Schlak erblickte ganz richtig die Hauptursache der alten Formschwäche des Staates und seiner Repräsentanten in der bundesdeutschen „Schuldkultur“. Er zitierte einen Satz aus der 8.-Mai-Rede, die Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 im Bundestag gehalten hatte: „Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, daß es zum Teil des eigenen Innern wird.“
Er identifizierte ihn als Teil der „protestantischen Gedenkkulisse“, zu der weiterhin der „Gewissensdruck“ und das „Ethos der Unmittelbarkeit“ gehörte. Das heißt: Verachtung des Förmlichen und das Bedürfnis, eine moralisierend aufgeladene Authentizität nach außen zu kehren, die auf Dritte so plump und anbiedernd wirkt. Typisch war und ist der verheulte deutsche Betroffenheitsblick, der an der Wirklichkeit vorbeigeht und gleichzeitig pharisäisch nach Belohnung schielt.
Die verinnerlichte, formlose „Schuldkultur“ aber, so Schlak, sei mit dem 2005 eröffneten Holocaust-Mahnmal in eine symbolisch-rhetorische Formensprache überführt worden; es sei „das erste Monument der Schamkultur der Berliner Republik“. Mit ihm beginne die „symbolische Aufarbeitung der Vergangenheit – die doch zuvor stets die Quelle aller deutschen Neurosen, Peinlichkeiten und Verhaltensunsicherheiten war“. Mit der neuen „Schamkultur“ würde Deutschlands „Mangel an Symbolischem“ und „seine notorische Unfähigkeit zur Repräsentation überwunden und Souveränität, ja sogar Form gewonnen“.
Das hat sich als voluntaristische Nonsens-These erwiesen. Tatsächlich wurde der Schuldprotestantismus um einen bildhaften Schuldkatholizismus ergänzt, der die Kategorien „schön“ und „häßlich“ vertauscht. Eine symbolpolitisch bedeutsame Szene spielte sich 2013 ab, als Kanzlerin Angela Merkel nach dem Wahlsieg der Union ihrem Minister Hermann Gröhe das Deutschland-Fähnchen wegnahm, das er geschwenkt hatte. Zwei Jahre später ordnete sie die Grenzöffnung für die Masseneinwanderung an, die einen spontanen, wilden Willkommensjubel auf deutschen Bahnhöfen auslöste. Im Kern handelte es sich um eine Schuldprozession aus dem Geist der „besonderen deutschen Verantwortung“, die aus der deutschen Schuldgeschichte hergeleitet wird.
So lobte der klügste der Merkel-Versteher, der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, die Szenen als „eine Form der Selbstverpflichtung Deutschlands in Gestalt eines Bildakts“. Es war die symbolische Initiation der bunten Republik, die keine Grenzen kennt und auf ästhetische Konventionen und Normen pfeift. Wie repräsentiert man ein schuld- und schamkulturell gestimmtes Staatswesen in angemessener Weise? Der Bundespräsident mit dem Döner-Säbel in der Hand hat die bildhafte Antwort gegeben.