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Wahlabend der Partei "La France Insoumise" (LFI) in der Pariser "Stalingrad-Rotunde", am Pult: Jean-Luc Mélenchon, 7. Juli 2024
Von Susan Bonath
Noch kurz vor dem Bekanntwerden des Ergebnisses der französischen Parlamentswahl überschlug sich die bürgerliche Presse in Deutschland mit Warnungen vor einem "Sieg der Rechten". Die Zeichen standen gut für Marine Le Pens Rassemblement National (RN). Viele Medien witterten bereits den Untergang der Demokratie. Es kam anders – und die Panik zeigt, wen das Bürgertum tatsächlich fürchtet: die "Sozialisten".
Sozial und antiimperialistisch?
Als Sozialist bezeichnet sich Jean-Luc Mélenchon. Seine Partei La France insoumise (FI, zu Deutsch: Unbeugsames Frankreich) gehört zum siegreichen Mitte-Links-Bündnis namens Nouveau Front Populaire (NFP, zu Deutsch: Neue Volksfront) aus vier großen Parteien und mehreren kleinen Organisationen.
Für zusätzliche Aufregung sorgte Olivier Faure, der Generalsekretär der sozialistischen Partei. Französischen Medien zufolge kündigte er an, bereit zu sein für den Posten des Premierministers.
Mélenchon und seine Partei tragen seit langem eine antiimperialistische und soziale Agenda vor sich her. Sie sind sogar – anders als deutsche "Linke" – Meister in Sachen Populismus. Sie wollen etwa den Mindestlohn massiv erhöhen, die Wochenarbeitszeit und das Rentenalter senken, die Obdachlosigkeit beseitigen, das Leben in den heruntergekommenen Banlieues verbessern und eine gesetzliche Krankenkasse für alle einrichten.
Mehr Mitte als links im Bündnis
Außenpolitisch fordert FI den Austritt Frankreichs aus der NATO und aus dem Euro – wohl das größte Übel für das westliche Bürgertum. Sie positionieren sich gegen Krieg, hinsichtlich Russlands ist das "Unbeugsame Frankreich" jedoch gespalten, ähnlich wie das RN gespalten. Mélenchon, der sich mehrfach für Frieden mit Russland aussprach, die Einmischung der USA und der NATO kritisierte und den sogenannten "Euromaidan" als Putsch ukrainischer Neonazis bezeichnete, hat im großen Parteienbündnis viele Widersacher.
Überdies ist die NFP in Frankreich weit entfernt von einer absoluten Mehrheit, möglichen Reformen stehen also immer noch Macron und dessen Gefolgschaft entgegen, und auch Le Pens RN ist stark. Zweitens hat das neoliberale NATO-Lager bisher selbst die größten Möchtegern-Revolutionäre in ihre Reihen weitgehend eingefriedet, in Deutschland gut zu sehen an den Entwicklungen in der SPD, bei den Grünen und der Linkspartei.
Man kann es vielleicht so beschreiben: Im "Mitte-Linksbündnis" der NFP ist einfach zu viel "Mitte" drin, als dass es dem neoliberalen NATO-Kurs Frankreichs oder gar der Europäischen Union ernsthaft gefährlich werden könnte.
"Antisemitischer Antideutscher"?
Doch die NATO-Presse tobt, vorneweg mal wieder der Axel-Springer-Verlag. Dessen Boulevardblatt Bild bezeichnete Mélenchon als "Deutschen-Hasser" und "Israel-Hasser", der das "Feindbild NATO" hege. Die Welt berief sich auf den gescheiterten Ex-Kanzlerkandidaten der CDU Armin Laschet und titelte "Antisemit, antideutsch, prorussisch" – Laschet bezeichnet Mélenchon als gefährlich".
Der Nachrichtensender n-tv geriet ebenso in Rage: "Frankreichs Wahlsieger" sei "aggressiv, antideutsch und antisemitisch", ätzte man dort und fügte an: Die Wähler hätten zwar "die Rechten ausgebremst". "Aber auch die linkspopulistischen Wahlsieger sind übel und gefährlich", hieß es. Ihr "Anführer" Mélenchon "hetzt offen gegen Deutsche und Juden, um muslimische Wähler zu mobilisieren", behauptete der Sender.
Kapitalismuskritik zu "Judenhass" verdreht
"Die Deutschen" hasse Mélenchon angeblich wegen einiger Äußerungen in der Vergangenheit. So geißelte er mehrfach die Bundesregierung unter Angela Merkel. Vor Jahren sagte er zum Beispiel, sie solle sich doch "besser um die Armen in ihrem eigenen Land kümmern". Für die sich ab 2014 zuspitzende ökonomische Krisendynamik in Europa machte er vor allem "die rechte deutsche Regierung" verantwortlich.
Für die Vorwürfe, "prorussisch" oder "antisemitisch" zu sein, braucht es in Deutschland bekanntlich auch nicht viel. Das Eintreten für Friedensverhandlungen mit Russland oder die Verurteilung des barbarischen Vorgehens Israels im Gazastreifen reichen aus, um schnell in einer dieser Schubladen zu landen.
Über vermeintlich "linken Antisemitismus" schwadronierten dieser Tage besonders viele deutsche Medien, das ZDF genauso wie der MDR, die Frankfurter Rundschau ebenso wie auch der Deutschlandfunk.
Das beruht auf dem absurden Zirkelschluss, wonach jegliche Kapitalismuskritik bereits antisemitisch sei. Tatsächlich steckt dahinter die eigene antisemitische Projektion, nämlich die unterstellte Annahme, dass Kapitalisten gleich Juden seien. Dies fußt direkt auf den Doktrinen der deutschen Nazis, die jüdische Unternehmer enteigneten und deren Betriebe deutschen Kapitalisten übergaben. Wer mit diesem Vorwurf hausieren geht, hat es vermutlich selber nötig, sich vom Antisemitismus reinzuwaschen.
"Absurde Vorwürfe"
Als "absurd" bezeichnete auch der bekannte französische Jurist Jean-Pierre Mignard die Antisemitismus-Keule gegen Mélenchon. Dieser verteidige lediglich die Rechte der Palästinenser und vertrete damit eine antizionistische Position, sagte er der Berliner Zeitung.
Viele Juden seien Antizionisten, mit Antisemitismus habe das nichts zu tun, betonte Mignard. Die Vorwürfe gegen den Mélenchon seien "eine politische Instrumentalisierung von Leuten, die heute Le Pen an der Macht sehen wollen". Ihre Partei, die sich israelfreundlich gibt, sei hingegen lediglich umgeschwenkt auf eine andere Form von Rassismus: zum "Hass auf Araber", warnt der Jurist.
NATO-Diktat über allem
Insgesamt zeigt sich das Erwartbare: Viele, die soeben noch ganz laut vor einem "Rechtsrutsch" Frankreichs warnten, hätten wohl deutlich bereitwilliger mit Le Pens Partei vorliebgenommen als mit einer Führung, die mehr Sozialstaat und weniger Kriegsrüstung fordert – unabhängig davon, was tatsächlich durchsetzbar wäre. Denn rechts und rechts gesellt sich gerne, trotz der einen oder anderen Differenz. Man sieht es im EU-Parlament.
Gleichwohl dürfte sich all die Schaumschlägerei sehr bald als überflüssig erweisen. Zu festgefahren und zu mächtig ist das imperialistische NATO-Diktat, als dass die Politik eines mittelgroßen europäischen Staats wie Frankreich viel daran ändern könnte, selbst dann, wenn sie das wirklich wollte. Die Mehrheit in der siegreichen NFP aber hegt diesen Wunsch nicht einmal. Da bleibt letztendlich nur die Straße übrig.