Autorius: Hubertus Knabe Šaltinis: https://www.anonymousnews.org/... 2024-07-13 19:10:00, skaitė 1175, komentavo 0
Von Egon Krenz empfangen – Juso-Vize Olaf Scholz (l.) in der DDR-Sendung „Aktuelle Kamera“ 1984
von Hubertus Knabe
Annalena Baerbock weiß ein Lied davon zu singen, wie es ist, wenn Journalisten sich daran machen, ein Politikerleben auszuleuchten. Selbst kleinste Details können den Blick der Öffentlichkeit auf eine Person massiv verändern. Umso erstaunlicher ist, dass sich bislang kaum ein Journalist für die Biografie von Olaf Scholz interessiert hat – insbesondere für die Anfänge seiner politischen Karriere in der SPD, als er nicht nur Helmut Schmidt und die NATO heftig bekämpfte, sondern auch eine große Nähe zu Exponenten des Machtapparats der DDR entwickelte. Dabei ist dieses Kapitel in seinem Lebenslauf von besonderem Interesse, schließlich wollte Scholz nach der Wahl ursprünglich mit den Erben der SED in Koalitionsverhandlungen treten. Diese Geschichte soll deshalb hier erzählt werden.
Dass Scholz keine grundsätzlichen Berührungsängste gegenüber der Linken hat, hat er wiederholt unter Beweis gestellt. Schließlich war er früher selbst glühender Marxist. Als junger Sozialdemokrat pflegte er schon zu DDR-Zeiten freundschaftliche Bande zur ostdeutschen FDJ, deren Funktionäre heute zum Teil in der Linkspartei sitzen. Und was er damals von der NATO hielt, ähnelt ziemlich genau den jetzigen Auffassungen der Linken.
Von 1982 bis 1988 war Scholz Vizechef der Jungsozialisten, die sich damals regelmäßig mit Funktionären des SED-Staates trafen – und selbstverständlich auch duzten. Als Delegationsleiter der Jusos weilte Scholz zum Beispiel 1983 im brandenburgischen Werder, wo er – wie der damalige Bundesschatzmeister der Jungdemokraten später berichtete – mit den „FDJ-Granden“ zusammen in die Sauna ging. Ein Jahr später wurde er sogar vom damaligen ZK-Sekretär für Sicherheit, Egon Krenz, empfangen, was ihn bis in die DDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ brachte. Sein möglicher Verhandlungspartner über eine rot-grün-rote Koalition, Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch, kann sich an den Besuch vielleicht noch erinnern, denn er arbeitete zu jener Zeit im FDJ-Zentralorgan “Junge Welt“.
Auch das Thema NATO beschäftigte Scholz schon damals. In der SPD gehörte er zu jenen, die die Sicherheitspolitik von Bundeskanzler Helmut Schmidt massiv kritisierten. Zu seiner Genugtuung stimmte der Parteitag im November 1983 mit überwältigender Mehrheit gegen den von Schmidt initiierten Beschluss der NATO, als Antwort auf die sowjetischen SS 20 auch im Westen Mittelstreckenraketen zu stationieren. Nur vier Wochen später erklärte Scholz im SPD-Bundesvorstand, „dass man wegen der veränderten Position in Teilen der Friedensbewegung jetzt auch als Jusos das Thema NATO-Austritt diskutieren könne.“
Genau das tat Scholz wenig später in der „Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft“. In einem Aufsatz über „Aspekte sozialistischer Friedensarbeit“ schrieb er im März 1984, dass „längerfristig auch die Frage der militärischen Integration der BRD in die NATO auf der Tagesordnung“ stehen werde. Seiner Meinung stand die bundesdeutsche Friedensbewegung damals vor der Entscheidung, entweder eine Integration ihres Territoriums in die aggressiv-imperialistischen Konzepte der USA hinzunehmen, mit dem Risiko des Untergangs der bundesdeutschen Bevölkerung, „oder eine grundsätzlich andere Strategie auch außerhalb der militärischen Allianz zu entwickeln.“
Wie heute sah Scholz allerdings schon damals das Problem, dass die Forderung nach einem Austritt aus der NATO bei den Deutschen nicht gut ankommt. Diese sei „aktuell völlig unrealistisch“ und nütze „den Rechtskräften“, denen „zumindest gegenwärtig noch die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung zur NATO sicher“ sei, schrieb er. Stattdessen müsse erst auf anderen Feldern die „Hegemonie der Rechtskräfte“ durchbrochen werden. Der NATO-Austritt stünde gewissermaßen erst am Ende des politischen Kampfes.
Auch nach dem Sturz des SED-Regimes – Scholz war inzwischen zum SPD-Vorsitzenden in Hamburg und Mitglied des Parteivorstandes aufgestiegen – gehörte er zu jenen, die der ostdeutschen Diktaturpartei verständnisvoll gegenübertraten. Trotz heftiger Kritik von Sozialdemokraten aus den neuen Ländern ließ er es sich als Generalsekretär der SPD 2003 nicht nehmen, ein Buch des letzten SED-Vorsitzenden Gregor Gysi öffentlich vorzustellen. Zur Begründung erklärte seine Sprecherin damals, immerhin sei Gysi in Berlin Mitglied einer SPD-geführten Landesregierung gewesen: „Warum sollte Olaf Scholz da nicht ein Buch von Herrn Gysi vorstellen?“
Um einschätzen zu können, was von Scholz‘ Forderung nach einem Bekenntnis der Linken zur NATO zu halten ist, lohnt es sich auch, auf frühere Regierungsbildungen zwischen der SPD und den SED-Nachfolgern zu blicken. Vor allem in den ersten Jahren gab es hier ebenfalls scheinbar unüberwindbare Differenzen – die dann, um an die Pfründe Macht zu gelangen, plötzlich aus dem Weg geräumt wurden.
Eine bewährte Methode war es damals, dass sich die SPD von der noch unter dem Namen PDS firmierenden Partei anfangs zunächst nur tolerieren ließ. Bei wichtigen Abstimmungen fanden die Absprachen im Vorfeld stets heimlich statt. Auf diese Weise wurden die Wähler schrittweise an das anfangs noch weithin abgelehnte rot-rote Bündnis gewöhnt. Erst nach einigen Jahren hielt die SPD die Zeit für reif, mit den SED-Nachfolgern auch offiziell eine Regierung zu bilden.
Als erstes wurde dieser Weg in Sachsen-Anhalt ausprobiert. Der dortige SPD-Spitzenkandidat Reinhard Höppner hatte vor den Landtagswahlen 1994 noch erklärt, dass er sich eine Tolerierung durch die PDS „nicht vorstellen“ könne. Wenige Wochen später ließ er sich dann mit deren Stimmen zum Ministerpräsidenten wählen. Zur Begründung erklärte er, er wolle die Partei auf diese Weise „entzaubern“. Die rot-grüne Minderheitsregierung blieb damals, trotz eines Misstrauensvotums, eine ganze Legislaturperiode im Amt.
Das „Magdeburger Modell“ machte Koalitionen mit der PDS auch außerhalb von Sachsen-Anhalt salonfähig. Noch im Jahr von Höppners Amtsantritt hatte der Bundesvorstand der SPD zwar beschlossen: „Koalitionen auf Landes- oder Bundesebene mit der PDS kommen nicht in Betracht.“ Doch innerparteilich nahm der Druck auf die Parteispitze stetig zu, dieses Verbot aufzuheben. So erklärte Vizeparteichef Wolfgang Thierse in einem internen Thesenpapier, die SPD könne „einer Zusammenarbeit mit der PDS nicht ausweichen“. Allerdings sollten konkrete Aussagen dazu „möglichst erst dann erfolgen, wenn ein vorliegendes Wahlergebnis ein konkretes Verhalten der SPD erforderlich macht.“
1998 ging die SPD dann in Mecklenburg-Vorpommern erstmals ein Regierungsbündnis mit den ungeliebten Postkommunisten ein. 2002 zog die Partei auch in Berlin nach, nachdem sich auch hier eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Klaus Wowereit zunächst nur von der PDS hatte tolerieren lassen.
Beiden Regierungsbildungen stand damals im Wege, dass der Koalitionspartner der SPD noch wenige Jahre zuvor für eine Diktatur verantwortlich gewesen war, die er partout nicht verurteilen wollte. Hinter verschlossenen Türen wurde deshalb an Strategien und Formulierungen gefeilt, die der PDS die von der SPD verlangte Distanzierung ermöglichte, ohne die eigene Basis vor den Kopf zu stoßen.
In Mecklenburg-Vorpommern geschah dies im Koalitionsvertrag vor allem durch den Satz: „Die PDS bekennt sich dazu, dass die SED für politisches Unrecht in der DDR verantwortlich war.“ Abgesehen davon, dass sich die SED lediglich in PDS umbenannt hatte, wurde die Aussage schon im nächsten Satz relativiert: „Ziel der Aufarbeitung muss es sein, Brücken zu bauen und alle Menschen, die die Zukunft demokratisch und gerecht gestalten möchten, zur Mitarbeit am Aufbau Mecklenburg-Vorpommern zu gewinnen.“ Die Verbrechen der SED avancierten so zur Begründung, um mit ihren Erben zusammenzuarbeiten.
In der einst geteilten Stadt Berlin bildeten vor allem die Zwangsvereinigung von SPD und KPD und der Mauerbau das Haupthindernis für eine Koalition. In mehreren Statements signalisierten führende PDS-Politiker deshalb schon im Vorfeld eine vorsichtige Distanzierung von der eigenen Geschichte. Der Parteivorstand verabschiedete dann eine sibyllinische Erklärung, in der es hieß: „Wir haben und werden uns für die Vereinigung von KPD und SPD, für die Gründung der DDR nicht entschuldigen. Wir haben und werden aber aus Anlass von Gedenktagen jene um Verzeihung bitten, die unter SED und DDR gelitten haben. Uns selbst werden wir jedoch das Scheitern von Einheitspartei und DDR niemals verzeihen.“ Der SPD reichte dies, um wenig später mit der PDS eine Regierung zu bilden.
Auch in Thüringen mussten die SED-Erben 2014 noch einmal über ihren Schatten springen, als sie die Unterstützung von SPD und Grünen brauchten, um erstmals einen der ihren zum Ministerpräsidenten zu machen. Den Regierungspartnern reichte es dafür aus, im Koalitionsvertrag einige deutliche Sätze zur SED-Herrschaft unterzubringen: „Die DDR war eine Diktatur“, lautete die Ablassformel für die Wahl von Bodo Ramelow, und „in der Konsequenz ein Unrechtsstaat“. Wie viel davon zu halten war, zeigte sich einige Jahre später, als Ramelow feinsinnig klarstellte: „Diese Formel heißt nicht, dass wir den juristischen Begriff Unrechtsstaat verwenden, sondern diese Formel heißt, dass wir aus dem erlittenen Unrecht der Menschen verstehen können, warum die Ableitung aus dem erlittenen Unrecht zu der politischen Wertung Unrechtsstaat führt.“
Vor diesem Hintergrund gehört wenig prophetische Kraft dazu vorherzusagen, dass eine rot-grün-rote Koalition im Bund nicht an einer Formulierung im Koalitionsvertrag scheitern wird. Zu groß ist der Wunsch führender Linken-Politiker, nach den Bundestagswahlen auch noch diesen letzten Ritterschlag zu erhalten. Auch innerhalb der SPD sind die tonangebenden Kräfte für ein solches Bündnis, sofern dies rechnerisch möglich ist.
Im Grunde braucht man die Schlüsselsätze in den Wahlprogrammen von SPD, Grünen und Linken nur neu zusammensetzen und schon steht einem Linksbündnis nichts mehr im Wege: „Wir werden uns für eine Neuaufstellung der heute noch unverzichtbaren NATO einsetzen mit dem Ziel, sie durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands zu ersetzen.“ Ein solches Sicherheitssystem, so erklärte Spitzenkandidat Bartsch bereits, könne von ihm aus auch „NATO“ heißen.