Die USA als politischer Geiselnehmer

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Die USA als politischer Geiselnehmer

Noch optimistisch: die beiden Astronauten Butch Wilmore und Suni Williams vor dem Start (05.06.2024)

Inzwischen werden sogar Nationalhelden zu Gefangenen der politischen PR. Wie viel höher ist dann die Bereitschaft, vermeintliche Verbündete stärker anzuketten? Zwischen ISS und Südkorea findet sich ein weiterer Grund für die Stationierung von US-Raketen auf deutschem Boden und die bizarre deutsche Reaktion.

Von Dagmar Henn

Vor Jahren hätte das noch große Schlagzeilen gemacht, jetzt spielt sich das Drama fast im Verborgenen ab. Seit mehr als zwei Monaten sitzen zwei US-Astronauten auf der ISS fest, weil das Gefährt, das sie dorthin gebracht hatte, eine Entwicklung von Boeing, nicht mehr funktionstüchtig ist.

Nicht, dass das bei Boeing überrascht. Aber zumindest die Älteren erinnern sich noch an die Zeiten, zu denen Astronauten Nationalhelden waren (wie ihre kosmonautischen und taikonautischen Kollegen) und eine derartige Lage täglich in den Hauptnachrichten behandelt worden wäre. Der Grund, warum das Schicksal dieser beiden kaum jemanden so recht zu interessieren scheint, ist allerdings nicht bei TikTok und zu vielen konkurrierenden Meldungen zu suchen. Man spricht nicht gern darüber, weil sie im Grunde zu Geiseln der Politik geworden sind.

Dass Boeing imstande wäre, ein anderes für die Rückkehr taugliches Gefährt in die Erdumlaufbahn zu schicken, glaubt im Grunde niemand mehr. Dann bleiben aber nur noch drei Möglichkeiten offen.

Die erste und naheliegendste (weil bereits erprobte) wäre eine Evakuierung durch ein russisches Gefährt. Das aber ist unmöglich, weil das eben die Russen sind, die keinesfalls als Retter US-amerikanischer Astronauten in den Medien auftauchen dürfen. Eine solche Hilfe wurde angeboten, aber abgelehnt.

Die zweite Möglichkeit wären die Chinesen. Die wollen die US-Amerikaner grundsätzlich von der ISS fernhalten; das heißt, sie müssten für eine derartige Rettung erst die genauen Angaben zum Andocken erhalten und ihr Gefährt anpassen. Aber auch von ihnen gab es ein Angebot, das ebenfalls abgelehnt wurde.

Bleibt die dritte, am wenigsten erprobte Version – SpaceX von Elon Musk. Immerhin etwas, das in den Weltraum fliegen und auch wieder zurückkommen kann, auch wenn sich die vorliegende Erfahrung nicht mit China und schon gar nicht mit Russland vergleichen lässt. Aber Musk geht deshalb nicht, weil das im laufenden Wahlkampf ungünstig wäre, der für die US-Regierung (wer immer das derzeit sein mag) absolute Priorität hat.

Sprich, die beiden Astronauten befinden sich in einer unnötigen Zwangslage, deren Auslöser zwar ein technisches Versagen, deren Grund aber die Haltung einer US-Regierung ist, die alles und jeden zu Gefangenen ihrer geopolitischen Interessen macht. Eine Zwangslage, die noch mindestens bis November anhalten könnte.

Ein Aspekt, den man vielleicht einbeziehen sollte, wenn man die Pläne zur Stationierung von US-Raketen betrachtet, die derzeit Deutschland treffen. Die völlig irrationale Bereitwilligkeit der Bundesregierung, eine derartige Stationierung hinzunehmen, könnte noch einen ganz anderen Aspekt haben, der sich etwas besser fassen lässt, wenn man das südkoreanische Gegenstück betrachtet.

Auch in Südkorea sollen nämlich derartige Raketen stationiert werden, wenn auch unter etwas anderer Begründung – die Bedrohung durch Nordkorea. Südkorea hat seit Langem jeweils knappe politische Mehrheiten; die aktuelle Regierung wird von der US-freundlicheren Seite gestellt, die Opposition will bessere Beziehungen zu Nordkorea. Allerdings ist die wirkliche Meinung der Südkoreaner, was die Anwesenheit von US-Truppen in ihrem Land betrifft, nicht notwendigerweise das, was öffentlich geäußert wird.

Aus der Partei von Regierungschef Yoon Suk-yeol kamen Forderungen nach einem eigenen Atomwaffenprogramm Südkoreas, auf die Verteidigungsminister Shin Won-sik nach Meldung von Reuters nun mit Aussagen reagierte, das würde "verheerende Folgen für das diplomatische Ansehen Südkoreas und seine Wirtschaft haben, vergleichbar mit den größten Verlusten auf dem Aktienmarkt seit 2008 in dieser Woche, die Analytiker den Schwarzen Montag nennen". Das würde zu einem großen Bruch mit den USA führen; da sei es doch der "einfachste, effektivste und friedlichste" Weg, eine Stationierung neuer US-Raketen zuzulassen.

Auffällig ist jedenfalls, dass die US-nahe Seite der südkoreanischen Politik gespalten zu sein scheint und mitnichten derart willig auf Stationierungspläne reagiert wie die deutsche. Noch interessanter ist dann eine Bemerkung, die die Reuters-Journalisten machten:

"Die Aussicht auf eine weitere Amtszeit des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der sich über die Kosten der US-Militärpräsenz in Südkorea beschwerte und nie dagewesene Gespräche mit dem Norden aufnahm, hat die Debatte weiter angeheizt."

Vor diesem Hintergrund, gekoppelt mit dem Wissen, dass in Südkorea nicht notwendigerweise alles das ist, wonach es aussieht, könnten die Forderungen aus den Reihen der Konservativen etwas ganz anderes bedeuten als eine Furcht vor nordkoreanischen Atomraketen – nämlich den Wunsch, falls sich durch eine Wiederwahl Trumps und eine entsprechende Politik die Möglichkeit ergibt, unter dem Daumen der USA hervorzuschlüpfen, diese auch wahrzunehmen. Weshalb es ihnen wichtig ist, die Stationierung der US-Raketen zu verhindern (mit der kleinen Fußnote, dass im Falle einer Umsetzung dieses Wunsches auch die US-Truppen nicht mehr so einfach zurückkehren könnten).

Was Anlass sein kann, hinter der ganzen Stationierungsgeschichte einen weiteren Aspekt zu sehen. Schließlich wird in vielfacher Hinsicht versucht, die gegenwärtige Politik geradezu einzubetonieren, sprich, gegen jede Veränderung in Washington immun zu machen. Derartige Manöver passierten schon in Bezug auf die "Hilfe" für die Ukraine.

Eine derartige Überlegung kann durchaus im Hintergrund stehen, gerade bezogen auf Deutschland. Schließlich verwundert es, warum nicht Polen oder Rumänien als Stationierungsorte in Betracht gezogen wurden, sondern ausgerechnet Deutschland. Wenn man überlegt, was Deutschland und Südkorea miteinander gemein haben, dann ist es die relative ökonomische Potenz in ihrer Region.

Japan, das nach diesem Kriterium auch dabei wäre, hatte zwar früher sogar eine ganze Menge US-Atomwaffen stationiert, aber sie wurden Mitte der 1970er abgezogen. Der Letzte, der dort eine abermalige Stationierung ins Spiel brachte, war der ehemalige Premier Shinzo Abe im Februar 2022, doch bisher gibt es keine derartigen Ankündigungen.

Abe wurde im Sommer 2022 Opfer eines Attentats. Der Attentäter erklärte, der Grund sei seine Nähe zur Vereinigungskirche, die tatsächlich bestanden hat. Die Vereinigungskirche ist eine südkoreanische Sekte, die auch Mitglied der Antibolschewistischen Liga der Nationen war, in der sich vor allem ehemalige Nazikollaborateure trafen, Ukrainer beispielsweise. Wie immer in derartigen Fällen fragt man sich, welche anderen Akteure daran beteiligt gewesen sein könnten. Auch in Japan gibt es Kräfte, die weit weniger US-freundlich sind.

Es war schon in der ersten Amtszeit Trumps zu sehen, dass die europäische, insbesondere die deutsche Politelite mit einer gewissen Panik darauf reagierte und insbesondere die Gedankenspiele, die US-Truppen abzuziehen, als bedrohlich empfand. Eine bizarre Reaktion, würde man doch eigentlich davon ausgehen, dass eine solche Entwicklung Erleichterung auslösen sollte.

Die südkoreanische Reaktion jedenfalls deutet an, dass selbst in der Regierungspartei sich manche etwas weiter von den USA entfernen würden und in einer neuen Raketenstationierung eher eine Bedrohung sehen. Was erklären könnte, warum die Bundesregierung, im Gegensatz selbst zur Regierung Schmidt, die damals die Pershing-Stationierung hinnahm, keine Entscheidung im Bundestag will. Denn eine Behandlung im Bundestag könnte den Zeitplan verzögern, sodass die Stationierungspläne noch nicht in trockenen Tüchern sind, wenn in den USA möglicherweise ein Regierungswechsel erfolgt. Wenn diese Planungen in den USA aber noch nicht beendet sind, könnte ein neuer US-Präsident sie stoppen. Und dann entfiele ein Grund, die Stationierung von US-Truppen in Deutschland aufrechtzuerhalten.

Dass es die ökonomisch stärksten Verbündeten in der jeweiligen Region sind, ist ein Indiz dafür, dass sich diese Stationierung ebenso sehr gegen diese Verbündeten richtet wie gegen die Länder, auf die diese Raketen zielen sollen. Es ist das auf die Stirn gemalte Fadenkreuz, das dafür sorgen soll, dass die Deutschen – wie die Südkoreaner – nicht entwischen und die Möglichkeit wahrnehmen, im Interesse des eigenen Landes zu handeln. Die deutschen Politiker kooperieren mit solchem Eifer, weil ihnen klar ist, dass sie dank ihrer US-Hörigkeit persönlich aus dem Spiel wären, sollte sich das Blatt einmal wenden.

Im Kern werden beide Länder damit zu Geiseln der US-Politik gemacht, und zwar der heutigen, unabhängig von Regierungswechseln hier wie dort. Den Südkoreanern scheint das zu widerstreben, den Deutschen leider nicht.