“Clash of Cultures” etwas anders gesehen

Autorius: Dr. Hartmut Grebe Šaltinis: https://www.compact-online.de/... 2017-03-30 06:32:12, skaitė 1025, komentavo 0

“Clash of Cultures” etwas anders gesehen

“Clash of Cultures” etwas anders gesehen

COMPACT-Autor Dr. Hartmut Grebe wurde während seines USA-Aufenthalts Zeuge, wie verbliebene Indianerstämme dort ihr kulturelles Erbe verwalten: Manche warfen es weg, andere kämpften um dessen Erhalt und wieder andere öffnen sich für den Lebensstil der Weißen. – Ein Bericht.

Ich lebte in Kalifornien, als ich von einem deutschen Konzern mit einem Projekt beauftragt wurde, für dessen Durchführung ich mich eine Weile in Deutschland aufhalten musste. Als das Projekt abgeschlossen war, bereitete ich mich auf eine Rückkehr an die amerikanische Westküste vor. Auf einer letzten Reise sah ich bei einem Freund in der Frankfurter Gegend herein. Als ich in das Haus eintrat, packte gerade eine schöne und sportliche junge Frau mit magischer Ausstrahlung zusammen, um das Haus zu verlassen.

So lernte ich meine spätere Frau Astrid kennen. Ich bekam einen weiteren Projektauftrag und blieb erst einmal in Deutschland.

Astrid

Sie war Bankangestellte, weil ihre Eltern sie in die Bank geschickt hatten. Ich konnte mir kein inkongruenteres Bild vorstellen als Astrid hinter einem Bankschalter.

Astrid hatte sich allerdings einen Raum geschaffen, in dem sie ihr eigenes Leben leben konnte, während sie das „ordentliche“ Leben mitschleppte: Sport. Sie nahm an Leichtathletikwettkämpfen teil, spielte Handball in einem Ligateam, erwarb eine Lizenz als Übungsleiterin, baute eine neue Abteilung in ihrem Sportverein auf und trainierte dessen Jugendgruppe in Leichtathletik.

Astrid setzt sich ein neues Leben zusammen

Während sie mit mir zusammenlebte, schnupperte sie eine ganz andere Welt und setzte sich ein neues Leben zusammen. Dabei griff sie sich auch Dinge heraus, die in meinen Erzählungen auftauchten. Als ich die Organisation Outward Bound erwähnte, sagte sie spontan: „Diese Ausbildung mache ich!“ In der Erlebnispädagogik brachte sie ihre eigenen Wesenszüge heraus. Die erlebnispädagogischen „Expeditionen“ nach Kurt Hahn kombinierten: Naturnähe, Gruppenführung, sportliche Tätigkeit und Persönlichkeitsbildung.

Eines Tages erzählte ich nebenbei, wie ich mit einem Flugzeug einmal über den Grand Canyon geflogen war und dort in einem tiefen Seiten-Canyon eine kleine Siedlung entdeckt hatte. Was waren das für Leute, die in dieser gewaltigen Landschaft offensichtlich in großer Abgeschiedenheit lebten? Ich war fasziniert und kreiste ein paar Mal über dem Ort, um mir, ohne den Flügel in meinem Gesichtsfeld, die Siedlung in Ruhe anschauen zu können. Es stellte sich heraus, dass in dieser Siedlung der Indianerstamm der Havasupai wohnte.

Astrid war von meiner Erzählung so elektrisiert, dass sie sofort sagte: „Da muss ich hin!“ Hier kam eine andere verschüttete Wunschwelt bei ihr heraus: die Kultur der nordamerikanischen Indianer. Ein ganz neues Kapitel in Astrids Leben tat sich auf. Während sie heute auf Exkursionen nach Nord-Amerika deutschen Gruppen das Leben überlebender Indianerstämme näherbringt, dringt sie selbst tiefer in deren Kultur, Spiritualität und naturverbundene Lebensweise ein. Es ist eine Spiritualität, die ihrer eigenen sehr viel näherkommt als das Christentum.

Der kulturelle Tod der nordamerikanischen Indianer

Dabei muss man allerdings sagen, dass nur wenige Indianerstämme ihre Tradition retten konnten. Bei den meisten wurde diese von der „Zivilisierung“ durch den Weißen Mann zerstört. Es wird geschätzt, dass die heutige Population der Native Americans nur noch die Größe von 10% ihrer ursprünglichen hat, bevor der Weiße Mann das Land kolonisierte. Die meisten Überlebenden haben ihre Gemeinschaftskultur verloren und leben zum großen Teil in erbärmlichen Verhältnissen – außer denen, die durch den Betrieb von Glücksspielen reich geworden sind.

Die weißen Siedler haben Sitten weggefegt, die zentrale Bedeutung für die jeweiligen Stämme hatten. Der Crow- Häuptling Plenty Coups sagte: „When the buffalo went away, the hearts of my people fell to the ground, and they could not lift them up again. After this nothing happened.“ Mit dem letzten Satz drückte er den kulturellen Tod seines Stammes aus. Es war die Leere, „the Void“, in die der Stamm starrte. Danach ist nichts mehr von Bedeutung passiert.

Die Indianer wurden nicht als Bürger wahrgenommen, mit denen man sich das (eroberte) Land teilt. Die „Neger“ wurden in der amerikanischen Verfassung von 1787 zumindest erfasst, wenn auch nur als 3/5 Menschen (zur Bestimmung der Bevölkerungszahlen). Indianer wurden nicht mitgezählt. Oft wurden Indianer ihrem angestammten und mit ihnen religiös verbundenen Land entrissen und „umgesiedelt“, manchmal wiederholt auf sich immer weiter verkleinernde Flächen. In Kalifornien brachen zeitweilig Gruppen von entschlossenen Männern in den Norden des Staates mit dem erklärten Ziel auf, ganze Indianerstämme auszulöschen. Der erste Gouverneur von Kalifornien sagte, dass eine Kampagne der Ausmerzung (Extermination) solange aufrecht erhalten werde, „bis die indianische Rasse ausgestorben sein wird.“

Erst 1927 erhielten die Indianer auf dem Gebiet der USA die Staatsangehörigkeit des Landes.

Zuerst konzentrierten wir uns auf zwei Stämme: die Havasupai und die Navajo, später noch eine zeitlang auf die Cree in Kanada. Bei den Hopi blieb es bei einem einzigen Kontaktversuch. Nachdem deren Weltanschauung eine Mode-Philosophie unter bestimmten Gruppen von Weißen geworden war und Bücher von Nicht-Stammesangehörigen über die Hopi veröffentlicht worden waren, stellten sich die Hopi als außerordentlich ungastlich heraus.

Ein gesellschaftlicher Kollaps: Die Havasupai

Die Havasupai und die Navajo stehen an den extremen Enden des Spektrums im Sinne der Erhaltung ihrer Stämme. An den Havasupai lässt sich mit Horror ablesen, wie sich in einer Gemeinschaft die gesellschaftlichen Strukturen auflösen können und eine Ansammlung von seelisch und körperlich Kranken ohne Sinn, Arbeit und gesellschaftliche Bindung übrigbleibt. Das Bureau of Indian Affairs ernährt sie und fliegt die Frauen zu Geburten mit Hubschraubern aus dem Canyon hinaus zu regulären Kliniken. Sonst sitzen die Frauen herum und werden dick.

Die Havasupai bewohnten ursprünglich ein großes Gebiet auf beiden Seiten des Grand Canyon, in seinen tiefen Seiten-Canyons und auf den flachen Absätzen der Canyons. Sie waren ein stolzer Stamm mit eigener Kultur, Schöpfungsgeschichte und ihrer Art der Selbstbehauptung. Der Grand Canyon mit seinen vielfältigen Formationen war mit ihrer Spiritualität eng verwoben. Es ist leicht nachzuempfinden, wie die monumentalen und farbenprächtigen Felsformen wie schicksalsbestimmende lebende Wesen wahrgenommen wurden.

Am Beispiel des Stammes der Havasupai will ich hier einen kleinen Ausschnitt aus dem komplexen politischen Gerangel zwischen Indianerstämmen und dem weißen Establishment der USA bringen. Als der Grand Canyon National Park eingerichtet wurde, störten die Indianer, und der Stamm wurde auf einer winzigen Fläche auf der Talsohle eines Seiten-Canyons, dem Havasu Canyon, eingepfercht. Zu der Zeit wurde die Maßnahme als ein notwendiger Verwaltungsakt zum Schutze des Nationalparks gesehen. Bei einer späteren Gesetzgebung, die sich auf den Park bezog, wurden die Havasupai nicht einmal mehr erwähnt.

Im Laufe des vorigen Jahrhunderts haben sich die Haltungen auf beiden Seiten stark gewandelt. Über Jahrzehnte war die Rückgabe eines Stücks des Parks an den Stamm heiß umstritten. Die weiße Seite war gespalten. Es gab einflussreiche Politiker, die die Havasupai im Sinne des Erhalts des Stammes und seiner Kultur unterstützten.

Bei den Havasupai gab es nun aber auch Stammesmitglieder, die an der hergebrachten Lebensweise gar nicht mehr interessiert waren. Sie wollten „wirtschaftliche Entwicklung“, z. B. die Einrichtung eines Touristikzentrums. Wenn der Park ein riesiges Touristikzentrum (Grand Canyon Village) inmitten des Nationalparks dulde, dann müsse das Recht dazu erst recht den Ureinwohnern zugestanden werden.

Auf der weißen Seite wurden Argumente vorgebracht wie: „Unsere Väter haben Blut vergossen, um indianisches Land zu erobern, woraus uns eine Verpflichtung erwachsen ist“, „Wir müssen einen Präzedenzfall vermeiden, nach dem in letzter Konsequenz die halbe Nation den Indianern zurückgegeben werden müsste“ bis hin zu dem nicht ganz unberechtigten Argument, dass die Havasupai bei voller Souveränität das Land verwahrlosen lassen und sich um Naturschutz nicht mehr kümmern würden.

Der Kompromiss, der aber beide Seiten nicht befriedigte, wurde die Rückgabe des betreffenden Areals an den Stamm, während aber auf dieser Fläche die Bestimmungen des Parks weiterhin galten. Das Bild, dass der Park bei „Verwahrlosung“ vor Augen hatte, war das Supai Camp, ursprünglich eine Ansiedlung für Havasupai, die für den Park arbeiteten. Dort steht der Park vor großen Abwasser-, Abfall-, Alkohol-, Umwelt- und Gesundheitsproblemen. Der Park möchte das Camp renaturieren, macht aber nichts, um das prekäre Gleichgewicht zwischen Stamm und Park nicht zu stören.

Das war die Situation, als wir den Havasu Canyon das letzte Mal besuchten. Bei diesen Auseinandersetzungen wurde der Sierra Club, die mächtigste Umweltorganisation in den USA, ein scharfer politischer Gegner der Havasupai. Der Club wirft dem Stamm vor, dass er die Natur zerstöre und die überkommene Kultur des Stammes nicht pflege. Für den Sierra Club sind die Havasupai ein Teil der Natur, die es zu schützen gelte. Dabei geht der Sierra Club allerdings von seiner eigenen Vorstellung von Natur aus. Indianer gehören in diese Natur nur, wenn sie eine Kultur leben, die dem verklärten Bild des Weißen Mannes von indianischer Kultur entspricht. Darauf entgegnet der Stamm, dass es den Weißen Mann nichts angehe, was sie mit ihrer Kultur machten.

Bei den Havasupai hatten wir bei unserem ersten Besuch Roland kennengelernt. Er erzählte uns in langen Gesprächen von den Mythen und der Geschichte des Stammes. Er nährte noch die Hoffnung, die alte Stammeskultur wiederbeleben zu können. Damit war er allerdings der Einzige im Stamm, soweit wir sehen konnten. Als uns klar wurde, dass Rolands Traum hoffnungslos und unsere Bemühungen, dem Stamm mit einem Projekt zu helfen, sinnlos waren, besuchten wir den Havasu Canyon nur noch wegen des einmaligen Landschaftserlebnisses: Abstieg in den sich verengenden Canyon im Anblick der wuchtigen Gesteinsformationen und dann zelten unter den spektakulären Wasserfällen an einer romantischen türkisfarbenen Lagune. Von dieser und dem Fluss haben die Havasupai ihren Namen. Sie sind „die Menschen vom blaugrünen Wasser“.

Die Navajo kamen durch

Die Navajo besetzen das andere Ende des Spektrums. Sie konnten ihre Kultur weitgehend retten und bauen sie heute wieder aus. Die Navajo sind ein Stamm, der im Umgang mit dem Weißen Mann auch Opfer bringen und Niederlagen einstecken musste, dem es aber gelungen ist, dem Weißen Mann überwiegend auf Augenhöhe zu begegnen. Sie haben dabei starken Zusammenhalt und Gemeinsinn, aber auch zeitweise Geringschätzung Nicht-Stammesangehöriger gezeigt, so dass manche Anthropologen sie geradezu als „nationalistisch“ bezeichnet haben. Mit ihrem „Nationalismus“ haben sie aber überlebt und die Substanz ihres Stammes gerettet.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in der Gegend viele Überfälle, Raubzüge und Scharmützel zwischen den Stämmen und zwischen den Navajo und den weißen Siedlern. In der Mitte des Jahrhunderts hatten die Behörden in New Mexico das Gefühl, dass sie die Situation nicht in den Griff bekamen, und starteten eine Kampagne, in der ein großer Teil des Navajo-Stammes teils durch Überredung, teils mit Waffengewalt in ein Gebiet innerhalb von New Mexico getrieben wurde, eine Zäsur, die als „The Long Walk“ (etwa: der lange Treck) in die Geschichte des Stammes eingegangen ist.

Der Versuch, die Navajo dort sesshaft zu machen, scheiterte. Als Hungersnot dazukam, wurde ein mit den Navajo ausgehandelter Vertrag unausweichlich. Der Stamm bekam eine Reservation, die heute auf etwa 70.000 qkm mit etwa 250.000 Stammesmitgliedern angewachsen ist.

Das Zusammenleben mit den Weißen und anderen Stämmen der Gegend wurde vertraglich geregelt. Mit der Zeit bauten die Navajo eine eigene Regierungsform auf und behaupteten sich gegen weiße Bürokratien. Als um sie herum Gebiete abgesteckt und zu Nationalparks gemacht wurden, kamen sie Begehrlichkeiten von Seiten der National Park-Behörde zuvor und gründeten einfach ihrerseits Nationalparks auf ihrem Gebiet. Lange Zeit herrschte an den Grenzen der Reservation ein Gewirr von gesetzlichen Verordnungen und dem Bruch dieser von der einen oder anderen Seite, persönlichen Absprachen, die auf Verordnungen keine Rücksicht nahmen, sowie Freundschaften und Animositäten, die den Alltag bestimmten.

Mit der Zeit spielten sich geordnete Verhältnisse zwischen dem Stamm und den Bundes- und staatlichen Behörden ein. Eine Art, wie sich das Selbstbewusstsein der Navajo ausdrückt, ist die Bereitschaft, weiße Gäste, wie Astrids Reiseteilnehmer, an ihrer Kultur und Spiritualität teilhaben zu lassen. Andere Stämme halten Überbleibsel ihrer Tradition vor den Weißen geheim, aus Angst, dass auch noch dieser Rest zerstört werden könnte.

Havasupai in Berlin

Bei den Havasupai hatten wir über Roland auch andere Stammesmitglieder getroffen. Als wir eine Fotografie einer Tanzgruppe von eindrucksvoll bunt gekleideten jungen Mädchen sahen, kam uns eine Idee. Könnte diese Gruppe nicht Aufmerksamkeit auf den Stamm, seine Geschichte und seine Nöte lenken. Gleichzeitig könnten wir der kleinen Tanzgruppe das große Erlebnis einer Reise nach Europa verschaffen. Wir machten mit dem Stamm ab, dass er sich beim Bureau of Indian Affair um die Kosten eines Fluges bemühen sollte, während wir alle Kosten für ihren Aufenthalt in Deutschland übernähmen.

Als schließlich nur vier Stammesangehörige, Mann, Frau und zwei Mädchen bei uns in Berlin ankamen, mussten wir zweimal hinsehen. Nicht nur war es nicht die kleine Tanzgruppe, die beiden Mädchen waren so übergewichtig, daß es sofort klar, dass sie keine Tanzschritte machen könnten ohne umzufallen.

Was machen? Astrid hatte Unterkunft und Aufführungen an Berliner Schulen organisiert. Es kostete Astrid großen Einsatz, die vier zu überreden, an die Schulen mitzukommen. Dazu musste Astrid sie darin trainieren, sich in einem Saal voller Menschen zu präsentieren, vom Stamm der Havasupai zu erzählen und Fragen zu beantworten. Astrid hat es fertig gebracht, dass die Aufritte für beide Seiten ein Erlebnis und ein Gewinn wurden.

Erschrocken waren wir, als wir bei unserem nächsten Besuch im Havasu Canyon im Garten unserer Familie zelteten und mit Nachbarn ins Gespräch kamen. Die Nachbarn wussten nichts davon, dass die Familie eine Reise nach Europa unternommen hatte. Unsere Familie gehörte zum Führungskreis des Stammes, hatte eine teure Reise nach Europa unternommen und im Stamm nichts davon erzählt? Wir, besonders Astrid, blieben der Familie verbunden. Aber einen weiteren Versuch, dem Stamm zu helfen, haben wir nicht unternommen.