Autorius: SputnikNews Šaltinis: https://de.sputniknews.com/pol... 2017-10-30 10:27:49, skaitė 793, komentavo 0
Ich nehme weder den Begriff ‚Willkommenskanzlerin‘ noch ‚Abschottungskanzlerin‘ auf. Die Bundesregierung – und das gilt auch für die vor Angela Merkel –, hat letztlich kein Konzept, wie sie unerwünschte Einwanderung begrenzen und diese steuern will. Und Angela Merkel oder die Bundesregierung hat passiv davon gelebt, dass die Balkan-Staaten und Österreich selbst die Balkanroute geschlossen haben. Da war das Türkeiabkommen allenfalls eine Ergänzung.
Die CDU hat ja bei den Wahlen enorm viele Stimmen verloren. Jetzt wird plötzlich aus den eigenen Reihen gegen die Kanzlerin geschossen. Vor allem die jungen Christdemokraten wollen sich mit der Politik der Kanzlerin nicht abfinden. Wie erklären Sie sich das?
Das ist doch ganz normal. Erstens sind Parteien immer ein Ort des Meinungsstreits. Dafür sind sie nun da, um den Streit richtig zu organisieren. Und zum anderen ist es doch ganz klar, dass wenn die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin ein gewisses Alter erreicht hat und auf die Mitte 60 zugeht und wahrscheinlich nicht unbegrenzt regieren will, dass dann Nachfolgefragen auftauchen. Das ist normal. Und dass sich derartige Fragen verschärfen, wenn die Wahlergebnisse ungünstig sind, ist auch normal.
Gibt es Tabus, die man in Deutschland einfach nicht ansprechen darf?
Wie Sie wissen, spreche ich alles an, was mir gefällt. Und wenn es mehr Leute so halten würden, gebe es auch weniger Tabus.
In Ihrem Buch „Deutschland schafft sich ab“, welches damals heftig kritisiert wurde, haben Sie viele Themen angesprochen und Thesen aufgestellt, die sich später die AfD zu Eigen gemacht hat…
Ich stehe für meine eigenen Analysen, meine eigenen Ideen und Vorschläge ein. Ich richte meine Bücher an die Allgemeinheit. Jeder kann dadurch klüger werden und sich daraus bedienen. Die AfD ist jetzt im deutschen Bundestag und ist eine Oppositionspartei. Sie ist demokratisch gewählt. Und welchen Beitrag sie in der parlamentarischen und sonstiger politischen Arbeit leistet, das warte ich jetzt ganz ruhig ab.
In Ihrem letzten Buch „Wunschdenken. Europa, Währung, Bildung, Einwanderung – warum Politik so häufig scheitert“ beschäftigen Sie sich mit dem Thema Bildung. Woran scheitert die Politik in diesem Bereich?
Die Politik scheitert in diesem Bereich damit, dass sie Fakten und Tendenzen nicht ernstnehmen will. Ich hatte ja schon in meinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ sehr ausführliche Abschnitte zur Bildungspolitik. Tatsächlich befassen sich von den 400 Seiten etwa 100 Seiten mit Bildungsfragen. Ich hatte auf genau die Risiken hingewiesen, die sich ergeben, wenn wir falsche Einwanderung haben, also von Leuten mit niedrigerer kognitiver Kompetenz, und wenn wir gleichzeitig eine Bevölkerungsentwicklung haben, wo auch die gebildeten Eltern, relativ wenige Kinder haben.
Auf die langfristigen Folgen für die Bildungsergebnisse in Deutschland hatte ich vor acht Jahren hingewiesen und diese scheinen jetzt allmählich einzutreten. Das ist bedauerlich. Ich hatte dann nochmal bildungspolitische Analysen im Jahr 2014 im Buch „Der neue Tugendterror“ gehabt und jetzt im letzten Jahr im „Wunschdenken“. Ich fand das interessant, dass letztlich die Passagen über Bildung bei den Medien auf vollständiges Desinteresse stießen. Daraus wurde gar nicht mal zitiert, das heißt, sie haben das Thema einfach links liegen lassen und haben den Ball nicht aufgenommen.
Der Anteil der Grundschüler mit Migrationshintergrund hat sich durch den Flüchtlingszuzug um mehr als ein Drittel erhöht. Meinen Sie, es gibt hier Parallelen zu deren schlechten Schulergebnissen, den Studien nachweisen?
Diese Erhöhung des Migrantenanteils um ein Drittel fand schon vor dem Flüchtlingszuzug statt. Der wurde bei der Studie noch gar nicht berücksichtigt. Wir können messen, dass Kinder mit Migrationshintergrund im Durchschnitt in den Schulen schlechter abschneiden. Das ist ja normal, wenn man aus einer fremden Kultur und Sprache kommt. Es ist auch normal, dass sich das dann abbaut.
Alarmierend ist das Folgende. Zwar passen sich die Leistungen von Migranten aus Osteuropa mit Ausnahme der Roma – das ist ein Sonderfall –, von Polen, Russen, Weißrussen usw., die bei uns leben, in der zweiten Generation an, und es gibt keine Unterschiede zu Deutschen. Dagegen ist bei den Einwanderern aus dem Nahen- und Mittleren Osten und insgesamt aus der islamischen Welt der anfängliche Leistungsrückstand ausgeprägter und baut sich auch in den folgenden Generationen nur langsam ab, wenn überhaupt.
Wie erklären Sie sich das?
Ich muss erstmal das Faktum sehen. Es kann ja nur mit dem kulturellen Hintergrund und den Lebenseinstellungen der Menschen zusammenhängen, denn das Schulsystem gibt allen die gleiche Chance. Wenn ein Kind aus Kiew in der zweiten Generation ebenso gut ist wie die deutschen Kinder, dann kann es ein Kind aus Ankara im Prinzip genauso sein. Außer, es gibt kulturelle Unterschiede, die den hartnäckigen Rückstand erklären.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht andere Probleme und kritisiert, dass die Schulen seit Jahren unterfinanziert sind. Es fehlen unter anderem Lehrer, Materialien. Wie kann das sein, dass hier an so wichtigen Stellen gespart wird?
Erstens ist das Geld überall knapp. Zweitens hatte Deutschland bis vor kurzem keinen ausgeprägten Lehrermangel. Im Gegenteil. Gerade in Bremen und in Berlin, wo die Ergebnisse besonders schlecht sind, gab es und gibt es mehr Lehrer als im Bundesdurchschnitt, gerechnet auf die Zahl der Schüler. Und die Ausgaben sind nicht niedriger als in den Ländern mit besseren Resultaten.
Herr Sarrazin, wagen wir einen Blick in die Zukunft. Wie könnte Deutschland 2035 aussehen, wenn die Politik es nicht hinbekommt, die Einwanderung zu regeln, wie Sie meinen?
Dann wird Deutschland im Jahr 2035 ein Land mit größerer Ungleichheit, mit mehr Kriminalität, inneren sozialen Spannungen und mit mehr Segregation (Trennung – Anm. d. Red.) zwischen unterschiedlichen kulturellen Gruppen sein.
Paul Linke
Das Interview mit Thilo Sarrazin zum Nachhören: