Frankreich in Aufruhr: Die Querfront marschiert

Autorius: Jürgen Elsässer Šaltinis: https://www.compact-online.de/... 2023-03-21 18:55:00, skaitė 739, komentavo 0

Frankreich in Aufruhr: Die Querfront marschiert

Macron-Regierung übersteht Misstrauensvotum nur ganz knapp. Linksfraktion und Rechte stimmen erstmals gemeinsam ab. Kann eine solche Querfront auch in Deutschland entstehen? Diese strategische Frage wird im Titelthema der April-Ausgabe von COMPACT-Magazin beantwortet.

Hochspannung im französischen Parlament: Gestern stand ein Misstrauensvotum gegen die Macron-Regierung auf der Tagesordnung. Es geht um die Rentenreform: Der kleine Napoleon will das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre erhöhen – weit unter aktuellem deutschen Niveau, aber die Franzosen sind seit je her aufrührerischer als die Deutschen und bluten nicht gerne für ein volksfeindliches Regime. Seit Wochen wird demonstriert und gestreikt, ohne dass die deutschen Medien groß darüber berichten. In Paris türmen sich die Müllberge, weil die Stadtreinigung im Ausstand ist. Der Zugverkehr wird bestreikt, Autobahnen und Verkehrsknotenpunkte sind im ganzen Land blockiert, gestern waren sechs Raffinerien blockiert, kein Benzin, Diesel und Kerosin kann mehr ausgeliefert werden, Tankstellen laufen leer.

Die Rentenreform wurde letzte Woche ohne Abstimmung im Parlament durchgepeitscht – der Notstandsparagraf 49.3 gibt der Regierung de jure das Recht dazu. De facto war das aber eine Verhöhnung der Abgeordneten, die seit Wochen über die Vorlage diskutierten – und dann gesagt bekamen: Ätsch, wir machen es ohne euch. Die Situation ähnelt der Endphase der Weimarer Republik, als Gesetze nur noch durch die Notverordnung des Reichspräsidenten nach Artikel 48 der Reichsverfassung in Kraft traten, weil es im Reichstag keine Mehrheit dafür gab.

Gestern also das Misstrauensvotum. Die Sensation gleich vorneweg: Erstmals stimmten die Linksopposition um Jean-Luc Mélenchon und die Rechtsopposition um Marine Le Pen gemeinsam gegen die Regierung. Misstrauensvoten der einen wie der anderen Seite gab es schon vorher, aber die jeweils andere Feldpostnummer stimmte nicht zu, wegen des ideologischen Grabens zwischen ihnen. Dieser Graben wurde gestern übersprungen, weil der Antrag von einer unabhängigen Kleinfraktion liberaler Unabhängiger LIOT gestellt wurde. So konnte zum ersten Mal eine vereinte Links-Rechts-Opposition ihre Macht zeigen, eine sogenannte Querfont. Dies wurde auch dadurch möglich, dass die in der Linksfraktion dominierende Partei um Mélenchon durchaus patriotisch ist: Sie  nennt sich La France Insoumise – Unbeugsames Frankreich. Kann man sich vorstellen, dass deutsche Linke sich unter dem Slogan „Unbeugsames Deutschland“ sammeln würden? Das zeigt schon den Unterschied. La France insoumise sind in vielerlei Hinsicht typisch linke Krawallos – aber immerhin sind sie Patrioten und sie sind gegen die NATO-Aggression. Bei der Parlamentsdebatte letzte Woche, als es auch schon hoch herging, schmetterten sie die Nationalhymne, gestern traten sie in Schärpen in den Farben der Trikolore auf.

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Querfront – Cover COMPACT 4/2023

Kann eine solche Querfront auch in Deutschland entstehen? Diese strategische Frage wird im Titelthema der April-Ausgabe von COMPACT-Magazin beantwortet. Parallel gibt es: Wagenknechts Programm entspricht etwa dem von Mélenchon, der überdies seit 25 Jahren ein Kumpel ihres Ehemannes Oskar Lafontaine ist. Wagenknecht sträubt sich derzeit noch unsinnig gegen jede Öffnung ihres „Aufstandes für den Frieden“ nach rechts – aber das hat Mélenchon bis vor Kurzem auch getan. Er sprang über seinen Schatten, als in einer großen Kampfsituation plötzlich eine Mittelgruppe auftrat, die erwähnte Mini-Fraktion LIOT, hinter der sich Linke und Rechte versammeln konnten. Ansätze für eine solche Mittelgruppe, die Wagenknecht-Linke und Patrioten wie AfD und COMPACT eine Brücke bauen könnten, zeigten sich auch bei der Wagenknecht-dem am 25. Februar, wie ich in meinem Aufmacherartikel in der neuen April-Ausgabe von COMPACT-Magazin herausarbeite.

Zurück zum Misstrauensvotum in der Nationalversammlung gestern: Das Ergebnis war hauchdünn: 278 Abgeordnete stimmten für den Misstrauensantrag – nur neun weniger, als für die Annahme notwendig gewesen wären. Macron war vor allem entsetzt, weil es 19 Parlamentarier der Republikaner (LR, mit der CDU vergleichbar) gab, die ebenfalls mit Ja stimmten. Für die Regierung ist das ein Pyrrhussieg – die außerparlamentarischen Proteste werden jetzt mit voller Kraft weitergehen. Schon gestern nacht brannten in allen Großstädten Barrikaden, für Donnerstag ist wieder ein landesweiter Streiktag angesetzt.