Autorius: RT Šaltinis: https://de.rt.com/meinung/1775... 2023-08-13 22:57:00, skaitė 519, komentavo 0
Symbolbild
von Susan Bonath
Ein explodierender Niedriglohnsektor, wachsende Slums an den Stadträndern, zunehmende Verelendung und Kriminalität: Die im imperialistischen Spätkapitalismus der USA seit Langem sichtbare Entwicklung nimmt auch in den europäischen Industriezentren Fahrt auf. Dort steuert das politische Management in die gleiche Richtung. Viele Regierungen, darunter die deutsche, bauen immer mehr soziale Rechte für Lohnabhängige ab, während sie Konzernlenker hätscheln und das Kriegsgeschäft fördern.
Nach den drastischen Kürzungen des italienischen "Grundeinkommens" (Reddito di cittadinanza), was erst der Anfang der von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Fratelli d`Italia) geplanten "Reformen" ist, fährt nun auch die deutsche Regierung ihren Krieg gegen die Armen hoch. Wie der Sozialrechtsexperte Harald Thomé vom Verein Tacheles in dieser Woche mitteilte, plant die Bundesregierung einen weit massiveren Sozialabbau als bisher bekannt. Die Ärmsten sollen offenbar den höchsten Preis für die politische Zerstörung der deutschen Wirtschaft sowie die militärische Aufrüstung zahlen.
Kürzung der Mietbeihilfen trotz explodierender Wohnkosten
Noch Ende Juli hatten sich mehrere Sozialverbände über geplante Kürzungen beschwert, die unter anderem Sozialeinrichtungen treffen sollen, die sich um Menschen in Not und die Integration von Flüchtlingen kümmern. Zudem sollen die Jobcenter 700 Millionen Euro weniger für die sogenannte Eingliederung von Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt erhalten.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte überdies angekündigt, die Betreuung von erwerbslosen Jugendlichen, die oft unter zahlreichen sozialen und psychischen Problemen leiden, von speziellen Einrichtungen der Jobcenter auf die Arbeitsagenturen zu übertragen, um so weitere 900 Millionen Euro einzusparen, RT DE berichtete. Besondere Hilfen für Jugendliche soll es dann nicht mehr geben.
Damit nicht genug: Nach dem jetzt von Finanzminister Christian Lindner (FDP) freigegebenen Haushaltsentwurf will die Bundesregierung auch bei den Mietbeihilfen drastisch zusammenstreichen, die Erwerbslose und geringverdienende Aufstocker im Rahmen des Bürgergeldes, ehemals Hartz IV, erhalten. Der Bund soll weitere 700 Millionen Euro weniger an die dafür zuständigen Kommunen zahlen.
Dies dürfte dazu führen, dass die Landkreise und Städte Betroffenen noch weniger Kosten für die Unterkunft (KdU), wie es auf Amtsdeutsch heißt, gewähren – obwohl diese Kosten vor allem aufgrund explodierender Energiepreise zuletzt massiv gestiegen sind. Bedürftige könnten bald tatsächlich komplett im Kalten sitzen.
Steuergeschenke gefährden soziale Infrastruktur
Laut Thomé beruft sich Lindner auf eine "prognostizierte Steigerung des Leistungsbezuges". Vermutlich will der Finanzminister damit ausdrücken, dass er eine rapide Zunahme von Bedürftigen erwartet. Wie das mit sinkenden Bundeszuschüssen zusammengeht, bleibt sein Geheimnis. Demnach soll der Etat geschrumpft werden, um ihn dann auf mehr Betroffene aufzuteilen. Schon jetzt verzeichnet Deutschland rapide wachsende Obdachlosigkeit – offenbar ein Trend mit Zukunft.
In einem weiteren Gesetzentwurf des Finanzministers mit dem wohlklingenden Namen "Wachstumschancengesetz" sieht der Paritätische Wohlfahrtsverband ein Programm für Sozialkahlschlag durch die Hintertür. Wie er berichtet, würden sich die Ausfälle bei den Gewerbesteuereinnahmen dadurch in den Kommunen pro Jahr auf fast zwei Milliarden Euro summieren, was weitere Ausfälle nach sich ziehen könne.
Geringere Bundeszuschüsse und zugleich sinkende Steuereinnahmen würden laut Paritätischem die Kommunen dazu zwingen, freiwillige soziale Aufgaben nicht mehr zu finanzieren. Der Verband spricht von einer "massiven Gefährdung der sozialen Infrastruktur", letztlich des sozialen Friedens in den Regionen.
Hartz IV und Bürgergeld – Programme für Lohndrückerei
Das Bürgergeld ist das bisher bekannte Hartz IV unter neuem Namen mit nur wenigen Änderungen. Es soll das untere Existenzminimum abdecken, kurz gesagt: Betroffene vor dem Verhungern und Erfrieren schützen und ihnen die allernötigste soziale Teilhabe gewährleisten.
Kurz vor der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 räumte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den wahren Grund seiner Agenda ein: den Aufbau eines großen Niedriglohnsektors, die Entmachtung der Gewerkschaften, das Einstampfen von Arbeitnehmerrechten und Protesten gegen miserable Arbeitsbedingungen. Ein Rückblick zeigt: Das ist der Politik trefflich gelungen.
Das dafür explizit angewendete Mittel bezeichnet das Gesetz als "Fordern und Fördern". Das bedeutet: Wer nicht jeden vom Amt angebotenen Job annimmt, der nicht gegen Sitten verstößt, wird mit dem Entzug seines Existenzminimus bestraft. Die Drohung wirkte: Der Niedriglohnsektor explodierte, noch heute arbeiten in Ostdeutschland bis zu 38 Prozent der Beschäftigten zu Dumpinglöhnen, im Westen bis zu 25 Prozent.
Die politischen Maßnahmen, das Heer der Billigarbeiter weiter zu vergrößeren und dem Lohndumping noch mehr Schwung zu verleihen, waren in den letzten 30 Jahren vielfältig – und durchaus erfolgreich. Dazu gehören Ein-Euro-Jobs und andere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen genauso wie Programme für sogenannte "Bürgerarbeit". Das erhöhte den Druck auf die Löhne, vor allem etwa im Sozialwesen, in der Grünanlagenpflege oder im Reinigungsgewerbe.
FDP fordert Arbeitspflicht für Grundsicherung
In der Vergangenheit überboten sich immer mal wieder Politiker der CDU, der FDP und der AfD mit Vorschlägen für Zwangsmaßnahmen, die das Lohndumping weiter verschärfen. Aktuell trommelt Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich mit einer bekannten Forderung in den Mainstream-Medien: Das Arbeitslosengeld II, also das Bürgergeld, soll es seinem Willen nach nur gegen gemeinnützige Arbeit geben. Unter anderem die Frankfurter Rundschau berichtete darüber unter Berufung auf dessen Interview mit dem RND. Wie üblich wettert Kemmerich darin gegen angebliche "Faulpelze". Die vermutet er natürlich nicht etwa in der diätenverwöhnten Regierung, in Kreisen superreicher Großaktionäre oder hoch alimentierter Beamter. Er wittert sie wie gewohnt unter denen, die am Existenzminimum ihr Dasein fristen.
Sein Vorschlag: Wer Bürgergeld erhalten will, soll mindestens 25 Stunden pro Woche dafür arbeiten, zum Beispiel "bei der Straßenreinigung, in der Betreuung". Hierzu eine kleine Berechnung: In Leipzig bekommt ein allein lebender Bürgergeldbezieher inklusive Mietzuschuss maximal rund 904 Euro. Müsste er dafür an 22 Arbeitstagen pro Monat insgesamt 110 Stunden arbeiten, käme er auf einen Bruttostundenlohn von 8,20 Euro – weit unter dem Mindestlohn.
Für Kommunen würde sich das natürlich lohnen. Beschäftigte zum Beispiel bei der Stadtreinigung, in Gartenbaubetrieben, in der Senioren- und Jugendbetreuung müssten dann wohl damit rechnen, durch billigere Bürgergeld-Arbeiter mit viel weniger Rechten weitgehend ersetzt zu werden.
Rechtlose Billigarbeiter, um Löhne zu drücken
Das haben schon die Ein-Euro-Jobs gezeigt: Auch sie sorgten für einen Abbau von regulär bezahlten Arbeitsplätzen in manchen Bereichen. Einige Kommunen stellten manche ihrer Pflichtaufgaben, wie etwa die Grünanlagenpflege oder die Betreuung in Sportvereinen, fast komplett auf Ein-Euro-Jobber um.
Die Apologeten solcher Zwangsmaßnahmen appellieren dabei gezielt, wie Kemmerich es nennt, an "das Störgefühl der Menschen". Er meint damit wohl vor allem jene Geknechteten, die zu Recht frustriert über die miesen Arbeitsbedingungen in ihrem eigenen Job sind. Wie soziologisch seit Langem erwiesen, nährt dies den Neid und die Missgunst gegenüber Menschen, denen es vermeintlich besser geht – etwa, weil sie angeblich "fauler" seien als man selbst.
Allerdings könnte jeder zu normalen Konditionen Beschäftigte im Handumdrehen zum Bürgergeld-Bedürftigen werden: etwa durch Stellenabbau in seinem Berufszweig, persönliche Schicksalsschläge, eine längere Krankheit und Ähnliches – Vom Bürgergeld trennt die meisten nur ein Jahr Arbeitslosengeld.
In Wahrheit zielen derlei Vorschläge gut alimentierter Politiker nicht auf Gerechtigkeit ab, sondern auf etwas ganz anderes: die Schaffung eines zwangsverpflichteten Heeres rechtloser Billigarbeiter, das dazu dient, im großen Stil die Löhne und Gehälter zu drücken, Arbeitnehmerrechte aufzuweichen, die Konkurrenz am Arbeitsmarkt zu verschärfen und die Situation für alle Lohnabhängigen zu verschlechtern.
Abstiegsneoliberalismus nach dem Vorbild der USA
Inklusive der geplanten Sozialkürzungen wäre so ein Arbeitszwang ein erfolgversprechendes neoliberales Programm: Für Massenverarmung trotz Arbeit, wachsende Ghettobildung, Obdachlosigkeit, Drogen- und andere Kriminalität sowie noch mehr Probleme bei der schon jetzt kaum praktizierten Integration von Flüchtlingen – USA 2.0 eben, nur ein wenig zeitversetzt und mit weniger weltpolitischer Macht ausgestattet.