Autorius: Werner Rügemer Šaltinis: https://www.anonymousnews.org/... 2023-10-27 19:59:00, skaitė 558, komentavo 0
Deutschland, größte Volkswirtschaft Europa, hat für die USA einen unvergleichlich hohen Beutewert.
von Werner Rügemer
Die Kapital-Eliten Deutschlands und der USA waren – wie auch die anderen imperialistischen Mächte – schon vor dem Krieg in ihrer Praxis sehr ähnlich. Beide sahen den Staat als Organisator privatwirtschaftlichen Gewinns. Beide bildeten nationale und internationale Kartelle. Bei beiden hatten große Banken die Oberhand gewonnen. Beide wollten ihre bisherigen Einflussgebiete mit allen Mitteln erweitern, vor dem Krieg, mit dem Krieg – und auch nach dem Krieg, die deutschen Kapitalisten dann mit etwas Verzögerung.
Entsprechend US-Präsident Wilsons Motto „Die Tore der anderen Nationen aufsprengen“ hatten auch auf deutscher Seite Politiker und Konzerne wie der Nationalliberale Gustav Stresemann im preußischen Kaiserreich internationale Eroberungen angestrebt. Ein großdeutsches Reich sollte Großbritannien und Frankreich überflügeln und durch Annexionen im Osten und Westen Europas und mithilfe von Kolonien ein Wirtschaftsgebiet aufbauen, das mit mindestens 150 Millionen Konsumenten dem Vordringen der USA etwas entgegenzusetzen habe.
Deutschland war wissenschaftlich und technologisch gegenüber den anderen europäischen Mächten am weitesten entwickelt und hatte in Europa zudem die größte Bevölkerung und den größten Markt. So war es, in der Mitte Europas gelegen, am besten geeignet, auch aufgrund der schon bisher in Deutschland selbst entwickelten Pläne, den modernen Kapitalismus auf ganz Europa auszudehnen, perspektivisch auch auf das sozialistische Russland und auf die eurasische Landmasse.
So hatten Deutschlands größte Kohle-, Stahl-, Chemie- und Rüstungsindustrielle, die Stinnes, Kirdorf, Duisberg, Krupp in ihren Kriegszieldenkschriften der Jahre 1914 und 1915 gefordert: Der deutschen Wirtschaft müssen „neue Tore“ in Europa geöffnet werden, mit Annexionen in Russland, aber auch im Westen; die kleineren Völker wie Belgien sollten ohne eigene Staatlichkeit für Deutschland arbeiten.
Keine zwei Staaten hatten damals eine so starke gegenseitige Vereinbarung über den Schutz kapitalistischen Privateigentums wie die USA und Deutschland. Dies war durch bilaterale Verträge und durch den Beitritt zu internationalen Verträgen gesichert, zum Beispiel zur Pariser Konvention zum Schutz gewerblichen Eigentums (1883). Außerdem wurde dieser Schutz durch die Haager Landkriegsordnung (1907) sogar für den Kriegsfall völkerrechtlich vereinbart: Die wichtigsten kapitalistischen Staaten wollten sich Kriege offenhalten, aber das kapitalistische Privateigentum gleichzeitig schützen. „Kein Grundsatz des internationalen Rechts war vor dem 1. Weltkrieg in den USA derart fest verankert wie der, dass privates Eigentum von Ausländern innerhalb der Vereinigten Staaten unantastbar war.“
Das hielt den US-Gesetzgeber nicht davon ab, seit der Kriegserklärung 1917 das Gegenteil zu tun. Mit dem Trading with the Enemy Act (Gesetz über den Handel mit dem Feind, 6. Oktober 1917) sollte deutsches Kapital – Unternehmen, Beteiligungen, Wertpapiere, Konten, Immobilien, Warenbestände, Schiffe – für die Zeit des Krieges beschlagnahmt werden. Die Nutzung nach dem Krieg sollte offen bleiben.
Die mit dem Gesetz geschaffene Behörde Alien Property Custodian (APC, Verwalter von Feindvermögen) ging in der Praxis über das Gesetz noch weit hinaus. Der erste Chef der Behörde, Mitchell Palmer – er wurde zwei Jahre später zum Generalbundesanwalt befördert und zog juristisch den Kampf gegen die „Rote Gefahr“ durch – griff die inzwischen vom Committee on Public Information inszenierte Propaganda auf. Deutsche Firmen in den USA, so agitierte Palmer seien „Spionagezentralen“, die „zerstört“ werden müssten. Sie hätten sich mit dem deutschen Staat zu einer Verschwörung zusammengetan, um wie „feindliche Hunnen“ die USA zu unterwandern und zu schwächen.
Palmers Behörde schickte Agenten los, die in ganz US-Amerika, aber auch in den entstaatlichten US-Kolonien wie den Philippinen und auf Hawaii nach deutschem Eigentum fahndeten. Deutsche Unternehmen konnten entschädigungslos auf den APC übertragen werden, und nur US-Bürger kamen als Käufer infrage. „Amerikanisierte“ deutsche Unternehmen arbeiteten dann weiter für die US-Kriegsproduktion (Medikamente, Glyzerin, Sprengstoffe, Gasmasken, Holzkohle) und für die Gewinne der neuen Eigentümer. So wurden etwa die beiden größten Autotechnik-Zulieferer Bosch Magneto Company und Eisemann Magneto Company 1918 mitsamt ihren 36 US-Patenten an US-Unternehmen verkauft.
Auch nach Kriegsende blühten Deutschenhass und Denunziation. US-Bürger, die als Einwanderer aus Deutschland gekommen waren, wurden in Sippenhaft genommen, kamen als „feindliche Ausländer“ auf schwarze Listen. Ihre Vermögenswerte, auch wenn sie nur aus einfachen Haushaltsgegenständen bestanden, wurden eingezogen und an „richtige“ US-Bürger verkauft. Fach- und Führungspersonal deutscher Unternehmen wurde ebenso zu Feinden erklärt und in Lagern interniert. In Iowa wurden Gebrauch und Unterricht der deutschen Sprache, in Oklahoma und vielen anderen US-Staaten deutschsprachige Zeitungen verboten. Das war auch deshalb möglich, weil die USA wegen Nicht-Ratifizierung des Versailler Vertrags bis 1921 mit Deutschland im Kriegszustand blieben.
Korruption erreichte bei der Enteignung deutschen Eigentums gewisse Höhepunkte. So gründeten im März 1919 die wichtigsten US-Chemieunternehmen eine gemeinsame Stiftung, die Chemical Foundation. Sie hatte ihren Sitz im US-Bundesstaat Delaware, der damals als Finanzoase aufblühte. Unter Francis Garvan, dem Nachfolger Palmers als Verwalter des Feindvermögens, verkaufte der APC 6.000 deutsche Patente an die Teilhaber der Stiftung zu einem durchschnittlichen Preis von weniger als 50 Dollar. Der reale Gesamtwert wurde damals auf etwa 20 Millionen geschätzt. Allein für das Patent des Medikaments Salvarsan des Hoechst-Konzerns wäre eine Million Dollar der ungefähre Marktwert gewesen. Der korruptive Deal wurde unter anderem deshalb möglich, weil APC-Chef Garvan zugleich Präsident der Chemical Foundation war, „also quasi an sich selbst zu Schleuderpreisen verkaufte.“
Auch der Staat kaufte auf diesem Wege Patente und verdiente an den Lizenzgebühren. So verschafften sich die USA gerade auf dem Gebiet von Zukunftstechnologien (Chemie, Elektro, Nichteisenmetalle), wo sie gegenüber der deutschen Industrie teilweise im Rückstand waren, erhebliche Wettbewerbsvorteile.
Gleichzeitig klagten 6.400 US-Unternehmen gegen Deutschland wegen Kriegsschäden, die vor allem Niederlassungen in Europa erlitten hätten. Auch wegen beschädigter und verhinderter Lieferungen aus den USA wurde geklagt. Die größten Entschädigungssummen erhielten Standard Oil, Singer, International Harvester, United Shoe Manufacturing, Western Electric, Pittsburgh Plate Glass und United Cigarettes Machines. Die Zahlungen, auch brav von der Hitler-Regierung beglichen, zogen sich bis 1941 hin.
In der neuen Weimarer Republik wurde schnell klar, dass die Reparationszahlungen an England, Frankreich, Italien und Belgien die Wirtschaft schwer belasten würden. In den zwei Jahren seit Gründung der Republik waren fünf verschiedene Regierungen gescheitert, auch wegen der Uneinigkeit über den Versailler Vertrag.
Am 10. Mai 1921 wurde der Zentrumspolitiker Joseph Wirth zum Reichskanzler gewählt. Er bildete eine Regierungskoalition aus SPD, dem katholischen Zentrum und der Deutschen Demokratischen Partei DDP, die sich als linksliberal verstand. Wirth hatte die Arbeiterbewegung, die Novemberrevolution und die Gründung der Weimarer Republik begrüßt. Er rechnete sich dem eher linken Teil der Zentrumspartei zu, die mit den christlichen Gewerkschaften kooperierte.
Wirth suchte die Zusammenarbeit mit den westlichen Mächten, war aber zugleich enttäuscht über deren geringe Zugeständnisse bei den Reparationen. Er wollte Deutschland wirtschaftlich und militärisch stark machen. Deshalb setzte er sich als Ausweg auch für die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion ein. Damit wollte Wirth gegen die westlichen Alliierten eine gewisse diplomatische und wirtschaftliche Selbständigkeit des Deutschen Reiches entwickeln. Auch die sowjetische Seite suchte einen Ausweg aus der internationalen Isolation.
Deshalb vereinbarten Deutschland und die Sowjetrepublik im Vertrag von Rapallo 1922 die gegenseitige diplomatische Anerkennung sowie Handelsbeziehungen. Beide Staaten verzichteten auf Reparationen und Entschädigungen; Deutschland sollte Equipment für die Ölförderung in Baku liefern und dafür den Markt für russisches Öl öffnen. Handelsbeziehungen mit den Sowjets hatten ja auch Konzerne und Banken aus den USA aufgenommen.
Wirth wurde wegen seiner positiven Einstellung zur neuen Republik und zu den Gewerkschaften, auch wegen seiner Verhandlungsbereitschaft mit den Alliierten und dann wegen Rapallo von konzernnahen Rechtsradikalen als „Linker“ und als „Erfüllungsgehilfe“ der Siegermächte verschrien.
Vor allem wurde der Außenminister der Wirth-Regierung, Walther Rathenau, zuständig für Rapallo, zur Hassfigur der Rechtsradikalen. Hier trat besonders die terroristische Organisation Consul (O.C.) hervor, geführt vom maßgeblich am Kapp-Putsch beteiligten ehemaligen kaiserlichen Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt. Finanziert wurde die O.C. von nationalistischen und antisemitischen und antimarxistischen Industriellen und Adligen. Rathenau war Aufsichtsratschef der AEG und Jude. Die O.C. prangerte deshalb gerade ihn als „Inkarnation einer jüdisch-kapitalistischen Weltverschwörung“ an und ließ ihn am 24. Juni 1922 ermorden.
Vorher hatten O.C.-Mitglieder schon den Politiker Matthias Erzberger – wie Wirth Mitglied der Zentrumspartei – ermordet: Er hatte im November 1919 den Waffenstillstand unterzeichnet. Auch auf Philipp Scheidemann von der SPD, der die Republik ausgerufen hatte, verübte die O.C. ein Attentat. Nach Rathenaus Ermordung rückte die Zentrumspartei von Wirth ab: Hier setzte sich der rechte, kapitalnahe Flügel mit seinem prominenten Mitglied Konrad Adenauer durch, Kölner Oberbürgermeister und Präsident des Preußischen Staatsrats. „Dieser Feind steht rechts!“ – dieser Ausruf Wirths im Reichstag nach dem Mord an Rathenau verdeutlicht seine Position im Unterschied zu den rechten Zentrumspolitikern um Adenauer. Die Regierung zerbrach, im November 1922 trat Wirth zurück.
Nach Wirth wurde die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) dauerhaft Mitglied der Nachfolgeregierungen. Ab Mitte der 1920er Jahre wurde die DNVP mehrfach Mitglied in den verschiedenen Reichsregierungen. Die DNVP verstand sich als „wirtschaftsliberal“ und nationalkonservativ, hatte antisemitische und völkische Elemente. Prominentes Gründungsmitglied war Alfred Hugenberg, bis 1918 Aufsichtsratschef des Stahl- und Rüstungskonzerns Friedrich Krupp, hochgeschätzt vom Kaiser und einer der größten Kriegsprofiteure. Nach 1918 baute Hugenberg den rechtsradikalen, dann zu Hitlers NSDAP offenen Hugenberg-Medienkonzern auf.
„Ich glaube, dass die Entscheidung über Europas Zukunft im Wesentlichen in den Händen der Vereinigten Staaten liegen wird.“ Das erklärte der neue „starke Mann“ Gustav Stresemann. Er war ab 1923 bis 1929 einer der einflussreichsten Politiker der Weimarer Republik, zuerst als Reichskanzler wie dann als Außenminister.
Vor dem Ersten Weltkrieg war er Geschäftsführer mehrerer Unternehmerverbände gewesen. 1914 hatte er den Deutsch-Amerikanischen Wirtschaftsverband gegründet und agierte bis zu seiner Kanzlerschaft 1923 als dessen gutbezahltes Präsidiumsmitglied. Er war gleichzeitig Mitglied der Deutschen Kolonialgesellschaft und trat für den Krieg und für die Annexion von Gebieten auch in West- und Osteuropa ein. Zum Ende des Krieges wurde er Vorsitzender der Deutschen Volkspartei (DVP), die sich als wirtschaftsliberal verstand und bei der Reichstagswahl 1924 die linksliberale DDP überflügelte. So war Kapital-Lobbyist Stresemann ab 1923 die bestimmende Figur in zehn aufeinander folgenden Regierungen.
Im Versailler Vertrag war Deutschland zu Reparationen verpflichtet worden, ohne Festlegung der Summe. 1920 einigten sich die Alliierten auf 269 Milliarden Goldmark, zahlbar in 42 Jahresraten. Frankreich sollte 52 Prozent bekommen, England 22, Italien 10, Belgien 8 Prozent. Die USA schlossen mit 16 kriegsbeteiligten Staaten jeweils Sonderverträge ab, 1921 mit Deutschland den Berliner Vertrag, mit der Gründung einer gemeinsamen Abwicklungs-Kommission: German American Mixed Claim Commission. Wirth hatte das hingenommen, aber nicht gezahlt.
Aber mit dem US-freundlichen Stresemann wurde die Lösung eingestielt. Die USA wollten Deutschland keineswegs finanziell so auspressen und moralisch-politisch so demütigen, wie es Frankreich, England, Italien und Belgien wollten. Die Reparationskommission der Alliierten unter Leitung des US-Bankers Charles Dawes legte deshalb 1924 den Dawes-Plan vor. Er kam Deutschland entgegen: Die jährlichen Zahlungen wurden herabgesetzt – und vor allem: Die Wall Street gewährte dem Deutschen Reich eine 800 Millionen Goldmark schwere Riesenanleihe. Die geschwächten europäischen Kriegsgegner beugten sich dem US-Diktat. Vor allem: Die USA wollten die Verbindung zwischen Deutschland und „Russland“ verhindern.
1924 trat der Dawes-Plan in Kraft, genannt nach dem Vorsitzenden Charles Dawes. Dawes kam von der National City Bank. Die Banken und Unternehmen, mit denen er und sein Stellvertreter Owen Young (General Electric) verbunden waren, gehörten zu den Profiteuren des Krieges wie auch des Reparationsmechanismus. Zu den kreditgebenden und Anleihen verkaufenden Wall Street Banken gehörten neben Morgan und Chase auch Dillon Reed, Lee Higginson, Kuhn Loeb, Equitable Trust und Goldman Sachs.
Deutschland bekam die wohltätigen Kredite allerdings nur unter Auflagen zugunsten der US-Seite:
Die Wall Street übernahm das Management des Kreditkarussells nicht nur in New York, sondern auch vor Ort in Berlin. Sie setzte 1924 Parker Gilbert als hochbezahlten Generalagenten ein. Er kam aus der Wall-Street-Kanzlei Cravath & Henderson und war stellvertretender Finanzminister, bevor er den Job in Deutschland übernahm. Als „Hochkommissar“ hatte Gilbert mit über hundert Mitarbeitern die Aufsicht über die Reparationszahlungen. Er hatte ein ständiges Büro in Berlin. Ihm unterstand das Abwicklungskonto bei der Reichsbank. Er überwachte die Einhaltung der Auflagen und machte Vorschläge zur Kürzung der deutschen Staatsausgaben. Als 1930 das Büro aufgelöst und durch die Bank for International Settlements (BIS) abgelöst wurde, kehrte Gilbert an die Wall Street zurück und wurde Mitinhaber der Bank Morgan.
Ein wichtiger Garant und Mitorganisator der US-Überwachung war der deutsche Banker Hjalmar Schacht. Er war von 1908 bis 1915 stellvertretender Direktor der Dresdner Bank gewesen, die seit 1905 zusammen mit Morgan US-Anleihen an deutsche Anleger verkaufte. Auf Druck der US-Regierung wurde er 1923 als Präsident der Deutschen Reichsbank installiert.
Schacht hatte während des Ersten Weltkrieges als Finanzkommissar der Reichsbank dem besetzten Belgien Zwangsabgaben auferlegt – schon da hatte er sich als Finanz-Autokrat zugunsten der mächtigeren Kapitalmacht bewährt. Er zog zusammen mit Gilbert die Kreditauflagen durch.
Schacht und Gilbert gelang es auch, die putschbereite Schwerindustrie an Rhein und Ruhr zu zähmen. Die mächtigen Stahl-, Kohle-, Chemie- und Rüstungsindustriellen wie Hugo Stinnes und ihre bisher kreditgebenden Banken wie J. H. Stein hatten zunächst vor, die Reparationen zu umgehen und mit der schon vor dem Krieg mit ihnen kartellmäßig verbundenen Schwerindustrie Frankreichs eine Separatlösung zu organisieren: Entweder eine eigene Zentralbank (Goldstandardbank) und/ oder einen Separatstaat unter französischer Protektion zu gründen. Ein politischer Helfer, wenngleich zwielichtig zögernd, war der Zentrumspolitiker Konrad Adenauer.
Der Versuch eines Separatstaates an Rhein und Ruhr war das vorletzte Aufbäumen der französischen und deutschen Schwerindustrie gegen die US-Übermacht. Doch die angloamerikanischen Banker waren stärker. Die Bank of England mit ihrem Direktor Montagu Norman unterhielt mit Schacht traditionell enge Beziehungen. Wall-Street-Anwalt John Foster Dulles und Schacht standen seit 1920 im Arbeitskontakt.
Der Separatstaat wurde verschämt begraben. Er wird nach dem 2. Weltkrieg als Montanunion in anderer Form wiedererstehen – aber nach US-Vorgaben. Die Dominanz der US-Banken war auch darin begründet, dass die deutschen Banken nach dem Krieg wegen der Inflation und wegen des Verlustes der deutschen Kolonien unterkapitalisiert waren. Deshalb waren deutsche Konzerne wie Stinnes, die Vereinigten Stahlwerke und Krupp auf Anleihen vor allem von US-Banken angewiesen.
Neben dem deutschen Staat griffen auch immer mehr Großstädte wie München, Berlin und Köln vor allem auf US-Kreditgeber zurück. So finanzierte etwa Adenauer seine Prestigeprojekte wie die Mülheimer Brücke und den Neubau der Universität mithilfe von US-Kommunalanleihen und machte damit die Stadt Köln zur höchstverschuldeten in Deutschland. Adenauer traf sich dazu in Berlin mit Wall-Street-Bankern von Lee, Higginson & Company.
Insbesondere mithilfe von Dawes-Krediten kauften US-Konzerne ab 1925 Unternehmen und Beteiligungen in Deutschland und gründeten Niederlassungen, oft verbunden mit der Gestellung günstiger Grundstücke und Steuerbefreiungen durch deutsche Städte. Deutschland war in Europa der absolut bevorzugte Investitionsstandort: 1930 betrugen die US-Investitionen in Deutschland 9,1 Prozent aller Investitionen im Ausland, während auf Großbritannien 3,9, auf Frankreich 3,1, auf Italien 2,6, auf Belgien 1,6 und auf Polen 1,1 Prozent entfielen.
Die US-deutschen Vorkriegskartelle wurden nach dem Ersten Weltkrieg weder von der deutschen noch der US-Regierung aufgelöst, im Gegenteil. US- und deutsche Konzerne gründeten neue gemeinsame Holdings sowohl in den USA wie in Deutschland, so etwa Bayer, BASF, Hoechst und Agfa unter dem Dach der IG Farben zusammen mit Standard Oil: Man vereinbarte zum Beispiel, dass Standard Oil fortgeschrittene petrochemische Verfahren nur mit Zustimmung der IG Farben anwendet – darunter jene zur Herstellung hochwertigen Benzins, synthetischen Ammoniaks, Methanols und synthetischen Kautschuks.Im Aufsichtsrat der IG-Farben-Tochter American IG Chemical Corp., in der mehrere US-Chemiefirmen zusammengefasst waren, saßen neben den deutschen Direktoren Carl Bosch, Max Ilgner und Dietrich Schmitz die Vertreter von Ford, GE und Standard Oil.
Wall-Street-Banken trieben mithilfe ihrer privilegierten Kreditvergabe die Monopolbildung in der deutschen Industrie voran. So initiierte Dillon Read den Zusammenschluss mehrerer deutscher Stahlkonzerne wie Thyssen, Rheinische Stahlwerke, Phoenix-Gruppe, Bochumer Verein, Otto Wolff und Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten AG zur Vereinigten Stahlwerke AG: Sie wurde mit 240.000 Beschäftigten zum größten Stahlkonzern nicht nur Deutschlands, sondern Europas. Die Aktien wurden auch auf dem US-Markt verkauft.
Der US-Kapitalismus löste Ende der 1920er Jahre eine der wiederkehrenden, typischen kapitalistischen Krisen aus: Hochspekulation mit extremen Gewinnen der Wall Street, dann Absturz, Insolvenzen, Arbeitslosigkeit. Wegen der inzwischen engen Bindungen an die Krisenverursacher wurde Deutschland besonders tief in die die Weltwirtschaftskrise ab 1928 einbezogen. Die US-Seite nutzte dies, um den Standort Deutschland noch intensiver an sich zu binden.
Weil mit der Krise die Rückzahlungsfähigkeit des deutschen Staates, deutscher Unternehmen und Städte weiter zurückging, legten die USA einen neuen Plan vor: den Young-Plan. Namensgeber Owen Young hatte als Wall-Street-Anwalt mithilfe der Bank Morgan GE zum größten Elektrokonzern ausgebaut, hatte 1919 auf Anregung der Wilson-Regierung den Radiokonzern RCA als GE-Tochter gegründet, wurde 1922 selbst GE-Vorstandschef (und wird dies bis 1939 bleiben). Morgan war GE-Großaktionär. Owen war zudem Leitungsmitglied der auch in Deutschland aktiven Rockefeller-Stiftung.
Young hatte schon den Dawes-Plan mitgestaltet. Mit dem Nachfolgeplan wurden die Zahlungsverpflichtungen Deutschlands weiter verringert, der Zeitraum der Zahlungen wurde auf 59 Jahre verlängert, bis 1988. Diese „Hilfe“ für Deutschland ermöglichte US-Investoren den erweiterten Zugriff. Sie konnten ihren Warenexport nach Europa intensivieren, insbesondere nach Deutschland, während sie selbst auf europäische Produkte die Einfuhrzölle erhöhten.
Allerdings: Nicht „Deutschland“ als eine angebliche nationale und soziale Einheit kam in den Genuss dieser Hilfen. Deutsche Unternehmen, die am Krieg gut verdient hatten und die Gewinne behalten durften, hatten zwar nach dem Dawes-Plan zunächst einige wenige Reparationen gezahlt, aber die USA hatten dafür gesorgt, dass der Staat den Unternehmen die Kosten ersetzte zulasten der abhängig Beschäftigten. Durch den Young-Plan wurden die Unternehmen auch formell von Reparationen entlastet.
Der versprochene Aufschwung blieb in den USA wie in Deutschland auf Banken und Konzerne beschränkt. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ebenso wie in den USA stieg weiter an, Banken diesseits und jenseits des Atlantiks brachen zusammen, die größeren wurden in den USA wie in Deutschland auf Staats- und Bürgerkosten gerettet.